Abschiebestopp Iran in NRW

Verlängerung nur bis 07. April 2023

Seit vielen Monaten protestieren die Menschen im Iran für grundlegende Menschenrechte. Seit vielen Monaten schlägt das iranische Regime die Proteste nieder, inhaftiert und foltert Menschen. Erste Hinrichtungen im Kontext der Proteste sind bekannt geworden. Doch all das ist nicht neu, sondern Bestandteil der Repression des Regimes seit Jahrzehnten. Eine aktuelle Recherche von NDR, WDR und SZ gibt Einblick in die Dimension der staatlich angeordneten Folter. Eindrückliches Zeugnis vom Vorgehen des iranischen Regimes hat jüngst auch ein nach Nordrhein-Westfalen geflüchteter 38-jähriger Mann dem WDR gegeben. Mit 37 Schrotkugeln im Körper kam er in Deutschland an und hofft jetzt auf Schutz und dringend benötigte Operationen.

In diesem Kontext ist es extrem wichtig, dass die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen den seit Anfang November 2022 bestehenden weitgehenden Abschiebestopp in den Iran Anfang Januar 2023 verlängert hat. Nordrhein-Westfalen hatte zuvor allein im Jahr 2022 bereits 13 Menschen in den Iran abgeschoben (sh. BT-Drs. 20/5116, Antwort auf Frage 18).

Allerdings ist der verlängerte Abschiebestopp in NRW aktuell nur bis 07. April 2023 gültig und gibt den betroffenen Menschen damit weiterhin zu wenig Sicherheit. Der Erlass des Düsseldorfer Flucht-Ministeriums enthält zudem weiterhin Ausnahmen für sogenannte Gefährder:innen und für Personen, für die ein Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 1 oder Abs. 2 Nr. 1 und 2 AufenthG besteht. Damit könnte beispielsweise schon eine Person mit älterer, bereits verbüßter, aber noch nicht aus dem Register getilgter Vorstrafe in Höhe einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe weiter in den Iran abgeschoben werden.

Der Verlängerung des Erlasses in NRW für einen Iran-Abschiebestopp ging die Diskussion auf der Innenminister:innenkonferenz (IMK) Ende November/ Anfang Dezember 2022 in München zuvor. Dort hatten sich die Bundesländer allerdings nicht auf eine bundesweit einheitliche formelle Regelung geeinigt. Der damalige Innenminister Niedersachsens und damalige Sprecher der SPD-geführten Innenministerien der Bundesländer Boris Pistorius sagte nach der Konferenz, ein formeller Abschiebestopp sei mit den Kolleginnen aus CDU und CSU nicht möglich gewesen. Welche Rolle das schwarz-grün geführte NRW in dieser Diskussion gespielt hat, ist dem Abschiebungsreporting NRW nicht bekannt. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass Nordrhein-Westfalen in der IMK durch Innenminister Herbert Reul (CDU) vertreten wird und nicht durch die fachlich für Abschiebungen zuständige Josefine Paul (Bündnis 90/ Die Grünen).

Die IMK hielt allerdings per Beschluss fest, dass „angesichts der gegenwärtigen katastrophalen Menschenrechtssituation im Iran bis auf Weiteres keine Abschiebungen in den Iran durchgeführt werden“. Gleichzeitig sind im Protokoll Ausnahmen festgehalten worden (sh. Sammlung der zur Veröffentlichung freigegebenen Beschlüsse der 218. Sitzung der Ständigen Konferenz der Innenminister und senatoren der Länder am 02.12.22 in München (BY), TOP 16). So sieht die IMK etwa auch die Abschiebung von „Ausreisepflichtigen, die hartnäckig ihre Mitwirkung an der Identitätsfeststellung verweigern, nach sorgfältiger Einzelfallprüfung […] weiterhin als geboten an“. Gut, dass Nordrhein-Westfalen mit seinem Erlass dieser Logik nicht folgt. Die Bundesländer waren im Nachgang der Konferenz für die Umsetzung der Regelung zuständig und konnten unterschiedliche Formulierungen bzw. Fristen anwenden. Der Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V. schrieb wenige Tage nach der Konferenz in einem Rundschreiben zur Entscheidung der IMK:

(…)“Offenbar geht es einigen unionsregierten Ländern darum, kein öffentliches Signal zu setzen und die eigene Entscheidung jederzeit widerrufen zu können. Das Ergebnis ist maximale Verunsicherung der betroffenen Geflüchteten.“(…)

Interessant ist auch, dass das Land Schleswig-Holstein auf der IMK im Rahmen einer Protokollnotiz auf den einstimmigen Beschluss des schleswig-holsteinischen Landtages von September 2022 verwiesen hat, der die dortige Landesregierung aufforderte, „sich angesichts der aktuellen Situation im Iran für einen bundesweiten Abschiebestopp in den Iran einzusetzen“. Keine solche Protokollnotiz findet sich dagegen vom Land Nordrhein-Westfalen, obwohl doch der Düsseldorfer Landtag am 03. November 2022 mit allen Stimmen der demokratischen Parteien ebenfalls einen bundesweiten Abschiebestopp forderte.

Iraner:innen aus der Ukraine sollen auch vor Abschiebung geschützt werden

Wichtig für Iraner:innen, die vor dem Bombenkrieg in der Ukraine nach Deutschland geflüchtet sind, ist zudem ein neuer Erlass des Düsseldorfer Flucht-Ministeriums vom 13. Januar 2023. Darin ist festgehalten worden, dass diese Personengruppe auch ohne individuelle Prüfung den vorübergehenden Schutz nach § 24 AufenthG erhalten kann. Es könne während der Geltungsdauer des Abschiebestopps in den Iran nicht von einer sicheren und dauerhaften Rückkehrmöglichkeit dorthin ausgegangen werden.

Zivilgesellschaftliche Forderungen nach einem bundesweiten Abschiebestopp

Es wird somit an der Zivilgesellschaft liegen, das Thema eines bundesweiten Abschiebestopps weiter auf der Agenda zu halten und dafür zu sorgen, dass auch die Frühjahrskonferenz der IMK im Juni 2023 erneut darüber berät. Nur vielen unermüdlichen Aktivist:innen und Journalist:innen ist es zu verdanken, dass überhaupt weiterhin zahlreiche Berichte aus dem Iran die deutsche Öffentlichkeit erreichen. Immerhin hat die IMK in München beschlossen, dass das Bundesinnenministerium auch auf der Frühjahrskonferenz 2023 über die „migrationsrelevante Situation im Iran“ berichten soll.

Aktuell bleiben die Forderungen aus der Zivilgesellschaft für einen langfristigen und bundesweit einheitlichen Abschiebestopp erfreulicherweise laut. So forderte jüngst die SEEBRÜCKE einen bundesweiten Abschiebestopp und Bleibeperspektiven für Menschen aus dem Iran. PRO ASYL wies in einer Meldung darauf hin, dass die Ablehnungsquoten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bei iranischen Schutzsuchenden seit Beginn der Revolution im Iran sogar angestiegen seien: eine fatale Tendenz, wenngleich wohl noch nicht sehr viele der von den neuen Repressionen im Iran seit September 2022 betroffenen Menschen überhaupt die Möglichkeit zur Flucht nach Deutschland hatten.

Wichtig ist aber nicht nur die Frage nach dem Abschiebeschutz, sondern auch die Frage nach dem Bleiberecht. Über 10.000 Menschen mit iranischer Staatsangehörigkeit leben in Deutschland nur mit einer oft kurzfristigen Duldung, teils noch verbunden mit Arbeitsverboten oder Leistungskürzungen. Auch der Erlass für den Abschiebestopp der NRW-Landesregierung sieht aktuell als einzige Rechtsfolge die Erteilung von Duldungen gemäß § 60a AufenthG für die Betroffenen vor. Weitere Bleiberechte jenseits des Asylrechts werden nur nach den allgemeinen Regelungen des Aufenthaltsgesetzes erteilt. Diese Regelungen sind zwar kürzlich mit dem neuen sogenannten „Chancen-Aufenthaltsrecht“ und der Verkürzung der erforderlichen Voraufenthaltszeiten bei den §§ 25a, b AufenthG erweitert worden. Dennoch werden bei weitem nicht alle Menschen auch von diesen Regelungen umfasst.

Wichtig ist auch, dass auch Wege in andere Aufenthaltstitel ermöglicht werden, die das restriktive Aufenthaltsrecht sonst oft versperrt. So wollte der Kreis Viersen etwa noch im Juni 2022 einen mit einer deutschen Staatsbürgerin verheirateten 57-jährigen Christen in den Iran abschieben, um ihn auf diesem Wege zur Nachholung des Visumverfahrens für den Ehegattennachzug zu zwingen und damit seinen Aufenthalt zu regularisieren. Die Abschiebung wurde erst kurz vor dem Abflug gestoppt. Es handelt sich nicht um einen Einzelfall, sondern der Fall zeigt beispielhaft eine Problematik auf, die viele Menschen betrifft. In jedem Fall sollte bei iranischen Menschen zurzeit zwingend auf die Nachholung von Visaverfahren verzichtet werden, da eine Ausreise in den Iran und eine Wiedereinreise nach Deutschland nicht gefahrlos möglich sind. Das Ziel sollte es sein, alle betroffenen Menschen aus dem diskriminierenden Duldungsstatus zu holen.

Mehr:
Erlass Abschiebestopp Iran, Report Abschiebungsreporting NRW vom 23. November 2022


Landtag fordert bundesweiten Abschiebestopp in den Iran, Report Abschiebungsreporting NRW vom 04. November 2022

Abschiebestopp Iran, Report Abschiebungsreporting NRW vom 10. Oktober 2022