Am 18. Januar 2023 hat die Stadt Dortmund den tadschikischen Oppositionellen Abdullohi S. abgeschoben. Der Mann hatte seit 2009 in Deutschland gelebt. Internationale Menschenrechtsorganisationen und auch der Mann selbst haben deutlich vor der Gefahr gewarnt, dass Abdullohi S. nach der Abschiebung vom tadschikischen Regime verschleppt werden könnte. Doch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen haben diese Gefahren zurückgewiesen. Die Befürchtungen könnten sich direkt nach der Abschiebung bestätigt haben.
Mit der Abschiebung ist jeglicher Kontakt zu Abdullohi S. abgebrochen. Auch eine Woche nach der Abschiebung des 32-jährigen Dortmunders nach Tadschikistan fehlt von ihm jede Spur. Auch die engsten Angehörigen in Deutschland sowie ein breiter Freund:innen- und Unterstützer:innenkreis in Dortmund haben seit der Abschiebung am 18. Januar 2023 keinen Kontakt zu Abdullohi S. herstellen können, wie sie dem Abschiebungsreporting NRW berichtet haben. Mehrere internationale Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch oder das Norwegische Helsinki Komitee hatten zuvor darauf hingewiesen, dass dem Mann nach der Abschiebung aufgrund seiner Zugehörigkeit zur in Tadschikistan verbotenen Partei PIWT (englisch: IRPT) Inhaftierung und Folter drohen könnten. Der Vater von Abdullohi S. hat aufgrund seiner politischen Tätigkeit in der Partei Flüchtlingsschutz in Deutschland erhalten.
Sebastian Rose, Abschiebungsreporting NRW, Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.:
„Wir erwarten eine sofortige Aufklärung über das Verbleiben von Abdullohi S. durch die Behörden in Nordrhein-Westfalen, die Bundespolizei und das Auswärtige Amt. Über Wochen haben Menschenrechtler:innen, Angehörige und Freund:innen darauf hingewiesen, dass Abdullohi S. aufgrund der Zugehörigkeit zu einer verbotenen Oppositionspartei in Tadschikistan nach der Abschiebung Inhaftierung und Folter drohen könnte. Doch BAMF und Verwaltungsgericht Gelsenkirchen glaubten dem Mann trotz vorgelegter Beweise nicht. Nun ist er verschwunden.“
Abdullohi S. war vergangene Woche nach mehrwöchiger Abschiebehaft im Abschiebegefängnis Büren über den Flughafen Düsseldorf via Istanbul nach Duschanbe abgeschoben worden. Die Bundespolizei begleitete den Flug. Beim ersten Abschiebeversuch am 12. Dezember 2022 hatte sich Abdullohi S. aufgrund der Panik vor der drohenden Abschiebung selbst verletzt, sodass die Abschiebung abgebrochen werden musste. Daraufhin erfolgte die Inhaftierung. Die zuletzt in einem Asylfolgeverfahren neu vorgetragenen Asylgründe von Abdullohi S. hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge noch vor Weihnachten 2022 in einem 48-stündigen Schnellverfahren als unglaubhaft zurückgewiesen. Die Entscheidung wurde dann durch einen einzelnen Richter des Verwaltungsgerichtes Gelsenkirchen in zwei Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes binnen weniger Tage bestätigt. Doch die getroffenen Annahmen des BAMF und des Gerichts werfen angesichts des Verschwindens von Abdullohi S. viele Fragen auf.
Die engsten Familienangehörigen von Abdullohi S. haben aufgrund der Zugehörigkeit zur Partei PIWT bereits Flüchtlingsschutz in der EU erhalten. Die Eltern des Mannes haben Flüchtlingsschutz in Deutschland, die beiden Kinder (9 Monate; 2 Jahre) sowie die nach religiösem Recht mit Abdullohi S. verheiratete Ehefrau haben Flüchtlingsschutz in Litauen erhalten. Das Abschiebungsreporting NRW konnte die dazugehörigen Unterlagen einsehen. Folglich haben die Kinder und die Frau von Abdullohi S. auch keinerlei Möglichkeit die Familieneinheit in Tadschikistan wiederherzustellen.
Auch die Bundesregierung kennt die Verfolgung der PIWT-Mitglieder sehr gut. In ihrem in der vergangenen Woche im Bundestag diskutierten 15. Bericht über ihre Menschenrechtspolitik weist die Bundesregierung selbst auf die Situation der Angehörigen der in Tadschikistan verbotenen Oppositionspartei hin (BT-Drs. 20/4865, S. 275). Sie schreibt:
„Die im Jahr 2015 als „terroristische Organisation“ verbotene „Partei der Islamischen Wiedergeburt Tadschikistans“ (PIWT) wird verfolgt, ihre Aktivistinnen und Aktivisten und deren Anwältinnen und Anwälte wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt oder ins Exil gezwungen.“
Sebastian Rose, Abschiebungsreporting NRW, Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.:
„Eine solche Abschiebepolitik ist unerträglich. Wie kann es sein, dass deutsche Behörden einen Mann abschieben, dessen engste Angehörige aus politischen Gründen bereits Flüchtlingsschutz in der EU erhalten haben? Die neu vorgelegten Beweise von Abdullohi S. wurden durch das eilig durchgeführte Asylfolgeverfahren in keiner Weise adäquat geprüft. Abdullohi S. wurde nicht einmal erneut vom BAMF angehört.“
Die engsten Angehörigen berichteten dem Abschiebungsreporting NRW zudem, dass das Smartphone von Abdullohi S. nicht erreichbar sei. Dennoch habe es darüber Aktivitäten gegeben, etwa den Zugriffsversuch auf ein Paypal-Konto. Das könnte darauf hindeuten, dass das Smartphone von tadschikischen Behörden beschlagnahmt worden ist, berichten die Angehörigen. Das Abschiebungsreporting NRW verlangt von den deutschen Behörden Aufklärung. Insbesondere ist nicht bekannt, ob die Bundespolizei, die den Flug des Mannes begleitet hat, das Smartphone des Mannes für die Dauer des Fluges beschlagnahmt hat und dann direkt bei Ankunft den tadschikischen Behörden übergeben haben könnte.
Auch Verlauf der Abschiebung unwürdig
Auch der Verlauf der Abschiebung von Abdullohi S. verletzte dessen Rechte. So erhielten selbst die engsten Angehörigen, aber auch mehrere für den Mann tätige Anwält:innen keinerlei Informationen über den geplanten zweiten Abschiebetermin am 18. Januar 2023. Und dass, obwohl Angehörige und Freund:innen von Abdullohi S. diesen mehrmals wöchentlich im Abschiebegefängnis Büren besuchten und keinerlei Fluchtgefahr bestehen konnte. Erst am frühen Morgen des 18. Januar 2023 erfuhren die Angehörigen, dass Abdullohi S. nicht mehr in Büren sei, sodass ein Rechtsanwalt des Mannes noch am gleichen Vormittag einen erneuten Eilrechtsschutzantrag beim Verwaltungsgericht Gelsenkirchen einreichen konnte. Dort wurden auch neue Beweise vorgelegt, wie etwa ein DNA-Nachweis des Mannes, der dessen Abstammung von seinem Vater belegt. Diese Abstammung hatte das Gericht zuvor angezweifelt. Doch all die in der Eile eines Eilverfahrens und bei bereits laufender Abschiebung vorgetragenen Argumente wurden vom Gericht erneut beiseite geschoben. Das jetzige Verschwinden von Abdullohi S. ist besorgniserregend.
Auch beim Umstieg von Abdullohi S. während der Abschiebung in der Türkei wurden ihm grundlegende Rechte verwehrt. Ein türkischer Anwalt und Menschenrechtsverteidiger:innen hatten versucht, Zugang zu ihm zu bekommen. Doch der Versuch wenigstens in der Türkei Asyl zu beantragen, misslang, weil die beteiligten Behörden dies verwehrten.
Kontakt:
Abschiebungsreporting NRW
Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.
Sebastian Rose
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E-Mail: rose@abschiebungsreporting.de
Twitter: @abschiebung_nrw
Hintergrund:
Verantwortung der Behörden in Nordrhein-Westfalen
Abschiebungen nach Tadschikistan stehen auch im Kontext von Aktivitäten der NRW-Behörden. Diese arbeiten dabei eng mit tadschikischen Behörden zusammen. So hatte die Zentrale Ausländerbehörde Essen (ZAB) im Juni 2022 erstmals eine Delegation von Vertreter:innen der tadschikischen Botschaft zu Gast. Gemeinsam mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und den tadschikischen Gästen führte die ZAB Essen eine Sammelanhörung durch, um Abschiebungen nach Tadschikistan vorzubereiten und Passersatzpapiere zu beschaffen.
Mehr:
Will die Stadt Dortmund einen tadschikischen Oppositionellen abschieben? Report des Abschiebungsreporting NRW, 21. Dezember 2022
Presseberichte:
Oppositioneller aus Tadschikistan: Abschiebung in den Knast, in: taz vom 06. Februar 2023