Landtag fordert bundesweiten Abschiebestopp in den Iran

Die demokratischen Fraktionen des nordrhein-westfälischen Landtages haben gestern in einem gemeinsamen Beschluss einen bundesweiten Abschiebestopp in den Iran gefordert. Die Abgeordneten diskutierten einen Entschließungsantrag unter der Überschrift „Für universell geltende Menschenrechte – Nordrhein-Westfalen zeigt sich solidarisch mit der iranischen Freiheitsbewegung“ (LT-Drs. 18/1357). Darin heißt es:

Zugleich ist es unsere dringliche Verantwortung, Menschen, die aus dem Iran zu uns geflohen sind und Asyl beantragt haben, vor einer Rückführung zu schützen. In der aktuellen Lage gilt es, den betroffenen Personen Sicherheit zu geben. Nun gilt es, dass die Bundesregierung für bundesweit einheitliche Bedingungen sorgt und die Voraussetzungen für eine nationale Aussetzung von Abschiebungen in den Iran schafft. Der Landtag begrüßt, dass bis zur Umsetzung auf Bundesebene die zuständige Fachministerin eine landesweite Aussetzung von Abschiebungen verhängt hat.“

Ob eine solche landesweite Aussetzung von Abschiebungen in Nordrhein-Westfalen, wie von Ministerin Josefine Paul (Bündnis 90/ Die Grünen) am 08. Oktober 2022 verkündet, schon Praxis ist und rechtswirksam den Ausländerbehörden gegenüber angeordnet wurde, daran gab es in der Landtagsdebatte gestern bedauerlicherweise Zweifel. Die Abgeordnete Inge Blask (SPD-Fraktion) berichtete, sie habe Ende vergangener Woche bei einer Ausländerbehörde nachgefragt. Dort habe sie die Rückmeldung erhalten, dass die Behörde keine Kenntnis von einem Abschiebestopp in den Iran habe und daher laufende Verfahren wie gewohnt bearbeitet würden. Europa-Minister Nathanael Liminiski (CDU) sagte in seiner Rede, er habe keine Kenntnis davon, habe aber bereits eine Überprüfung in Auftrag gegeben.

Die Landesregierung muss diesen Aspekt umgehend klar stellen, um weitere Unsicherheit bei den über 2.900 betroffenen Menschen in NRW zu nehmen. Auch hatte das Flucht-Ministerium im Oktober 2022 auf Anfrage des WDR keine Auskunft darüber gegeben, ob es Ausnahmen für den von Ministerin Paul verhängten Abschiebestopp gebe.

Der gestrige Landtagsbeschluss sendet dennoch ein wichtiges Signal vor der anstehenden Innenminister:innenkonferenz, die am 30. November 2022 in München beginnt. Das Land Niedersachsen hatte bereits Anfang Oktober 2022 einen Beschlussvorschlag für die Konferenz für einen allgemeinen Abschiebestopp in den Iran angekündigt.

Der nordrhein-westfälische Landtag appelliert mit seinem Beschluss insbesondere an die Bundesregierung. Sie solle „zügig weitere Schritte“ einleiten, „um national einheitliche Bedingungen zum Schutz geflüchteter Personen aus dem Iran zu schaffen“. Diesbezüglich fordert der Landtag „eine schnelle Aktualisierung des Lageberichts Iran durch das Auswärtige Amt als eine zwingend notwendige Grundlage für die Entscheidungspraxis des BAMF bei iranischen Asylverfahren“.

In den ersten neun Monaten von 2022 erhielten nur 45,3 Prozent aller Schutzsuchenden aus dem Iran bundesweit einen Schutzstatus vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, die meisten davon eine Anerkennung nach der Genfer Flüchtlingskonvention (bereinigte Schutzquote*, eigene Berechnung, Basis: BAMF, Asylgeschäftsstatistik 01-09/2022). Viele andere müssen ihr Recht erst vor den Verwaltungsgerichten einklagen. Das Herkunftsland Iran liegt im bisherigen Jahr 2022 auf Platz 6 bei den Asylanträgen bundesweit.

Wie dringlich ein bundesweiter Abschiebestopp und eine klare Schutzgewährung für alle geflüchteten Menschen aus dem Iran ist, wurde in den letzten Wochen und Monaten bundesweit immer wieder sichtbar. Die Abschiebung eines zum Christentum konvertierten Mannes aus Bayern in den Iran wurde im September 2022 erst in letzter Minute am Flughafen Frankfurt am Main gestoppt. Im August weigerte sich ein Elektriker aus Greifswald in das Abschiebeflugzeug zu steigen, auch er ein konvertierter Christ. Die Abschiebung wurde abgebrochen. Im Oktober wurde ein Mann unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in das Landratsamt in Passau gelockt und in Abschiebehaft verbracht. Erst nach massiver öffentlicher Intervention wurde die Abschiebung gestoppt. Ebenfalls im Oktober kam ein queerer Iraner aus Neubrandenburg erst nach mehreren Tagen Abschiebehaft wieder frei.

Auch dem Abschiebungsreporting NRW wurden in den vergangenen Monaten mehrere Abschiebungen aus Nordrhein-Westfalen in den Iran bekannt. So hatten etwa die Stadt Duisburg und die Stadt Köln Menschen abgeschoben. Eine vom Kreis Viersen geplante Abschiebung eines 57-jährigen christlichen Mannes war im Juni 2022 erst in letzter Minute vorläufig gestoppt worden. Der Mann wäre von Ehefrau und Stiefsohn getrennt worden. Auch dieser Mann befand sich bereits mehrere Tage in Abschiebehaft.

*Die bereinigte Schutzquote umfasst nur alle inhaltlich vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge geprüften Asylverfahren. Nicht einbezogen sind etwa Dublin-Verfahren oder zurückgezogene Asylanträge.

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Plenarprotokoll der Landtagsdebatte am 03. November 2022, S. 45 ff.