Familientrennung: Stadt Gelsenkirchen schiebt Mann nach Nigeria ab

Presseinformation, 17. November 2022

Lebenspartnerin und vier Kinder im Alter von zwei bis sieben Jahren bleiben zurück

Die Stadt Gelsenkirchen hat eine sechsköpfige Familie voneinander getrennt: Sie schob im August 2022 einen 38-jährigen berufstätigen Mann nach Nigeria ab. Seine Lebenspartnerin blieb mit vier Kindern im Alter von zwei bis sieben Jahren in Gelsenkirchen zurück. Seit drei Monaten ist die Familie nun getrennt. Das Paar hat drei gemeinsame Kinder (2, 5, 5), die wie die Mutter Aufenthaltserlaubnisse in Deutschland haben. Das älteste Kind (7) hat die deutsche Staatsangehörigkeit, denn es hat einen deutschen Vater. Alle sechs lebten in einem Patchwork-Haushalt zusammen.

Die Abschiebung des Vaters durch die Stadt Gelsenkirchen ist perfide, denn hier wurden die Rechte von vier kleinen Kindern auf ihre Eltern und der Eltern auf ihre Kinder gegeneinander ausgespielt. Durch die Annahme, auch das deutsche Kind könne im Familienverbund nach Nigeria ausreisen, legte die Stadt fest, das Kind könne auf seinen in Deutschland lebenden Vater verzichten und per Messenger mit diesem den Kontakt aufrechterhalten. Dabei besucht das Kind seinen Vater regelmäßig und pflegt regen Telefonkontakt. Es ist in Deutschland geboren und besucht hier bereits die Schule. Den drei anderen Kindern hat die Stadt Gelsenkirchen ihren Vater durch die Abschiebung nun seit bereits drei Monaten und auf unabsehbare Zeit komplett entzogen. Damit einher geht eine schwere Beeinträchtigung des Kindeswohles. Dabei müssen alle öffentlichen Stellen bei ihren Maßnahmen gemäß UN-Kinderrechtskonvention die Belange von Kindern vorrangig berücksichtigen. Mit der Abschiebung wurde auch eine 30-monatige Wiedereinreisesperre für den Mann festgelegt.

Auch hat die Stadt Gelsenkirchen sich mit der Abschiebung des Mannes bewusst über den Vorgriffserlass der Landesregierung für ein sogenanntes Chancen-Aufenthaltsrecht hinweg gesetzt. In dem Erlass vom 15. Juli 2022 ist festgelegt, dass die Ausländerbehörden von Aufenthaltsbeendigungen absehen können bei Menschen, die voraussichtlich unter das neue Bleiberecht fallen werden, das seit Mitte Oktober 2022 im Bundestag beraten wird. In diesem Fall lebte der Familienvater bereits seit 2015 in Deutschland. Zuletzt war er in Vollzeit als Produktionshelfer in der Metallweiterverarbeitung beschäftigt. Die weiteren Voraussetzungen für das neue Bleiberecht erfüllte er. Somit hätte er vom neuen Chancen-Aufenthaltsrecht gemäß der bisherigen Ausgestaltung profitieren und darüber ein Bleiberecht erhalten können. Stattdessen wurde er aus dem laufenden Arbeitsverhältnis abgeschoben.

Sebastian Rose, Abschiebungsreporting NRW, Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.:

„Immer wieder erfährt das Abschiebungsreporting NRW von Familientrennungen, aber diese ist besonders krass. Mutter und drei Kinder haben seit Jahren ein festes Aufenthaltsrecht in Deutschland, ein Kind hat die deutsche Staatsangehörigkeit, die Familie ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland. Dennoch hält es die Stadt Gelsenkirchen für zumutbar, dass alle sechs nach Nigeria ausreisen. Ein solches behördliches Vorgehen können wir nur als Teil einer Abschreckungspraxis interpretieren. So sendet die Behörde deutliche Signale auch an alle anderen Familien.“

Die angerufenen Verwaltungsgerichte haben im Eilverfahren die Rechtsauffassung der Stadt Gelsenkirchen zwar bestätigt. Allerdings können in Eilverfahren aufgrund der knappen Zeit nicht immer alle Belege rechtzeitig vorgelegt werden und eine faire Gesamtwürdigung der Lage unterbleibt folglich. So war es auch hier. Die Stadt Gelsenkirchen ließ den abgeschobenen Mann vor der Abschiebung sogar noch eine Woche in der Abschiebehaft Büren inhaftieren.

Sebastian Rose, Abschiebungsreporting NRW, Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.:

„Die neue Landesregierung hat im Koalitionsvertrag festgehalten, dass die Wahrung des Kindeswohls bei Abschiebungen Priorität habe. Jetzt muss sie Farbe bekennen und klar machen, wie das konkret umgesetzt werden soll, sonst bleiben es nur hohle Worte. Die Trennung von Familien ist ein absolutes No-Go, in Nordrhein-Westfalen aber absolut kein Einzelfall. Wir erwarten von der Landesregierung, dass sie die sofortige Wiedereinreise des Mannes unterstützt, um die Familie wieder zusammenzuführen. Die Stadt Gelsenkirchen muss hierfür das bereits eingeleitete Visumverfahren des Mannes proaktiv unterstützen, die Einreisesperre aufheben und eine Vorabzustimmung erteilen.“

Der Arbeitgeber des Mannes würde diesen nach Einreise sofort wieder einstellen.

Hintergrund:
Die Abschiebung des Mannes erfolgte mit dem Sammelcharter am 10. August 2022 vom Flughafen Hannover nach Lagos, Nigeria. Mehr Informationen zu dieser Sammelabschiebung hat der Verein Refugees4Refugees dokumentiert.

Kontakt:

Abschiebungsreporting NRW
Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.
Sebastian Rose
Telefon 0221 / 972 69 32
Mobil 01575 / 40 35 862
E-Mail: rose@abschiebungsreporting.de

Kanzlei Ebert & Schwegler
Rechtsanwältin Sarah Schwegler
Telefon 07121 / 539 56 88
E-Mail: schwegler@ebert-schwegler.de

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Presseberichte

„Perfide Abschiebung?“ Stadt Gelsenkirchen scharf kritisiert, in: Westdeutsche Allgemeine Zeitung v. 27. November 2022 (Print v. 29. November 2022)

Abschiebung: Stadt Gelsenkirchen in der Kritik, in: WDR Lokalzeit Ruhr v. 28. November 2022 (ab min 5.54, online bis 05. Dezember 2022)

Gelsenkirchen: Das steckt hinter umstrittener Abschiebung, in: Westdeutsche Allgemeine Zeitung v. 07. Dezember 2022