516 Abschiebungen in einem Jahr: Zentrale Ausländerbehörde Essen legt Jahresbericht 2022 vor

Die Zentrale Ausländerbehörde Essen (ZAB Essen) ist eine der zentralen Behörden in Nordrhein-Westfalen, wenn es um Abschiebungen geht. Wie aus dem neuen Jahresbericht der Behörde hervorgeht, wurden im Jahr 2022 seitens bzw. mit Unterstützung der ZAB Essen 516 Menschen abgeschoben. Damit sind 2022 insgesamt 16,5 Prozent aller Abschiebungen in NRW (2022: NRW-weit 3.118 Abschiebungen) seitens bzw. mit Unterstützung der ZAB Essen durchgeführt worden. Diese sowie weitere Daten gehen aus dem neuen Jahresbericht 2022 hervor, den der Fachbereich 38 der Stadt Essen in dieser Woche den Gremien des Stadtrates Essen vorlegt: darin enthalten sind auch Ausführungen zur Arbeit der Zentralen Ausländerbehörde Essen (S. 26 ff.).

Die ZAB Essen ist eine von fünf Zentralen Ausländerbehörden in Nordrhein-Westfalen, die jeweils bei kommunalen Gebietskörperschaften angesiedelt sind, jedoch vom Land NRW finanziert werden. Die fünf Behörden in Bielefeld, Coesfeld, Essen, Köln und Unna haben besonders viele Aufgaben im Bereich der Abschiebungen übertragen bekommen. Da die ZAB Essen dazu zählt, hat das Abschiebungsreporting NRW einen Blick in den Jahresbericht geworfen. Zwar gibt er nur sehr wenige Informationen, übertrifft damit aber immer noch die Informationspolitik der vier anderen Zentralen Ausländerbehörden in Bielefeld, Coesfeld, Köln und Unna, die noch viel intransparenter arbeiten.

Neben den 516 Abschiebungen seien 496 Menschen im Zuständigkeitsbereich der ZAB Essen aus den Landeslagern im Regierungsbezirk Düsseldorf „freiwillig ausgereist“. Bei den „freiwilligen Ausreisen“ gibt es einen starken Anstieg gegenüber dem Pandemiejahr 2021. Hauptzielländer der Abschiebungen im Bereich der ZAB Essen waren 2022 Albanien, Nordmazedonien und Serbien. Daneben wurden besonders viele Abschiebungen nach der Dublin-Verordnung in die EU-Staaten Frankreich und Spanien durchgeführt.

Sammelanhörungen in der ZAB Essen

2022 hatte die Zentrale Ausländerbehörde Essen erneut Delegationen bzw. Vertreter:innen von Botschaften von Nicht-EU-Staaten zu Gast, um gemeinsam Abschiebungen vorzubereiten. Die Sammelanhörungen dienen der Identifizierung von Personen und sind Zwangsmaßnahmen der Behörden diesen gegenüber. 2022 gab es in Essen je eine Sammelanhörung mit Vertreter:innen aus Guinea-Bissau, Liberia und Tadschikistan. Vertretungen von Nigeria waren 2022 sogar drei mal bei der ZAB Essen. Insgesamt sind nach Angaben der Stadt Essen 229 Personen im Rahmen dieser Anhörungen vorgeladen worden. Eine Aufschlüsselung zugeordnet zu den einzelnen Ländern liefert der Jahresbericht nicht. Auch andere Bundesländer haben sich an diesen Sammelanhörungen in Essen beteiligt. Aus einer Bundestags-Drucksache ist bekannt, dass im Juni 2022 insgesamt 34 Personen zur Anhörung mit Vertreter:innen Tadschikistans in die ZAB Essen vorgeladen worden sind (sh. BT-Drs. 20/6291, Antwort auf Frage 8).

Durch ZAB Essen beantragte Abschiebehaft

Die ZAB Essen hat nach Angaben in ihrem Jahresbericht im Jahr 2022 insgesamt 110 Haftanträge für Abschiebehaft bei den zuständigen Amtsgerichten gestellt, die überwiegend von den Gerichten bestätigt worden seien. Diese Zahl nur einer ZAB zeigt im Hinblick auf die Abschiebezahlen beispielhaft auf, wie häufig Menschen zum Zwecke der Abschiebung in NRW inhaftiert werden. Abschiebehaft ist eine Haft ohne Straftat. Die Freiheitsentziehung dient allein dem Zweck der späteren Abschiebung. Keine Auskunft gibt der Jahresbericht allerdings darüber, in wie vielen Fällen eine Form der Abschiebehaft später gerichtlich als rechtswidrig eingestuft worden ist. Fachleute aus dem Bereich der Abschiebehaft zeigen regelmäßig auf, wie extrem häufig Abschiebehaft rechtswidrig erfolgt. Das Problem dabei: dies stellen die Gerichte oft erst Monate oder gar Jahre später fest. Die Frage der Rechtsmäßigkeit von Abschiebehaft ist rechtlich auch getrennt von der Frage der Rechtmäßigkeit der Abschiebung, was vielfach dazu führt, dass die Rechtswidrigkeit von Abschiebehaft erst dann festgestellt wird, wenn betroffene Menschen bereits nicht mehr in Deutschland leben.

Zahlen und Statistiken zeigen nicht das durch Abschiebungen hervorgerufene Leid auf
Es ist wichtig, Zahlen und Statistiken zu kennen und die Behörden diesbezüglich zu beobachten und zu bewerten. Allerdings geben die Zahlen keinen Einblick, was diese staatlichen Zwangsmaßnahmen tatsächlich bedeuten. Das Abschiebungsreporting NRW hat sich zur Aufgabe gemacht, die rigide Abschiebepraxis in NRW sichtbarer zu machen und den davon Betroffenen damit eine Stimme zu geben. Nachfolgend zeigen wir Beispiele aus dem Bereich der ZAB Essen der letzten Monate auf.

Die Abschiebung eines zweifachen Familienvaters aus Dortmund nach Tadschikistan im Januar 2023 wurde an den Schreibtischen der ZAB Essen vorbereitet. Der Mann verschwand nach der Abschiebung zunächst, landete im Gefängnis der tadschikischen Sicherheitsbehörden und wurde schließlich im März 2023 aus politischen Gründen zu sieben Jahren Strafhaft verurteilt. Keine behördliche Stelle in NRW hat sich bisher bei den Angehörigen des Mannes oder dessen Kindern, die in Europa leben, entschuldigt. Im Gegenteil: Die Kooperation der ZAB Essen mit Tadschikistan wurde munter fortgesetzt. Im März 2023 war erneut eine Delegation in Essen zu Gast (sh. BT-Drs. 20/6291, Antwort auf Frage 8). Ein 52-jähriger Rom wurde im Dezember 2022 von der ZAB Essen direkt nach seiner Entlassung aus einer stationären psychiatrischen Behandlung im Lager Rees II (Kreis Kleve) festgesetzt, auf gerichtlichen Beschluss in Abschiebehaft genommen und wenige Tage später nach Serbien abgeschoben. Und wie ein nigerianischer Mann aus Gelsenkirchen im Sommer 2022 durch die Abschiebung auf lange Zeit von seiner Partnerin und seinen kleinen Kindern getrennt worden ist, hat das Abschiebungsreporting NRW im November 2022 und Februar 2023 berichtet.

Kontakt:
Abschiebungsreporting NRW
Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.
Sebastian Rose
Telefon 0221 / 972 69 32
Mobil 01575 / 40 35 862
E-Mail: rose@abschiebungsreporting.de

Hintergrund:

Die ZAB Essen ist eine von fünf Zentralen Ausländerbehörden in Nordrhein-Westfalen und hat seit ihrer Gründung 2018 für das Land Nordrhein-Westfalen bestimmte Aufgaben im Bereich von Abschiebungen übernommen: einerseits schiebt die Behörde in eigener Zuständigkeit Menschen aus den Landeslagern im gesamten Regierungsbezirk Düsseldorf ab. Dazu zählen die sogenannten Zentralen Unterbringungseinrichtungen in Neuss, Ratingen, Rees I, Rees II, Rheinberg, Viersen, Weeze und Wuppertal. Daneben übernimmt die ZAB Essen gemäß ZustAVO NRW auf Weisung im Einzelfall des Ministeriums für Flucht und Integration bei der Abschiebung von bestimmten strafrechtlich verurteilten Personen sowie sogenannten „Gefährder:innen“ die Zuständigkeit für die Abschiebungen, die dann bei den örtlich zuständigen Ausländerbehörden beendet wird. Daneben wird die ZAB Essen im Regierungsbezirk Düsseldorf und ggf. darüber hinaus in Amtshilfe bei Abschiebungen kommunaler Ausländerbehörden tätig. Außerdem übernimmt sie zentrale Aufgaben im Bereich der Passersatzpapierbeschaffung und bei Sammelanhörungen (siehe oben). Die ZAB Essen verfügt nach Recherchen des Abschiebungsreporting NRW über 108 Planstellen. Zurzeit arbeiten laut dem Jahresbericht 2022 der Behörde dort 98 Menschen.

Mehr:

Hintergrundrecherche: Zentrale Ausländerbehörden Nordrhein-Westfalen, Abschiebungsreporting NRW, 26. April 2023

Stadt Essen, Jahresbericht 2022, FB 38 – Zentrale Ausländerbehörde, Staatsangehörigkeits- und Ausländerangelegenheiten