Nach Abschiebung aus Dortmund: Abdullohi Shamsiddin in Tadschikistan zu sieben Jahren Strafhaft verurteilt

„Sieben Jahre Knast in Tadschikistan, weil deutsche Behörden falsch entscheiden, „Repression in Tadschikistan: Sieben Jahre Haft für ein Like’“, „Dortmunder Abdullohi Shamsiddin in Tadschikistan zu Haftstrafe verurteilt. Sieben Jahre für nichts.“ – so lauteten die Schlagzeilen bei VICE, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und in den Ruhr Nachrichten Ende März und Anfang April 2023. Die Stadt Dortmund hatte Abdullohi Shamsiddin Mitte Januar 2023 nach Tadschikistan abgeschoben. Er hatte über 13 Jahren in Deutschland gelebt. Nachdem der Mann in Tadschikistan über Tage lang verschwunden war – offenbar wurde er direkt nach der Abschiebung festgenomen-, verurteilte ihn Ende März 2023 ein Gericht in der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe zu sieben Jahren Strafhaft.

Abdullohi Shamsiddin „wurde es als „Aufruf zum Extremismus“ vorgeworfen, einen oppositionellen Social-Media-Post „geliked“ zu haben. Die Verurteilung zu einer langjährigen Haftstrafe hat das Auswärtige Amt der taz bestätigt. Demnach hätten Vertreter:innen der Deutschen Botschaft in Duschanbe den Prozess beobachtet.

Vor der drohenden Inhaftierung und Verurteilung von Abdullohi Shamsiddin durch das tadschikische Regime im Falle seiner Abschiebung hatten internationale Menschenrechtsorganisationen und ein Dortmunder Unterstützer:innen- und Freundeskreises wochenlang gewarnt. Dem Düsseldorfer Ministerium für Flucht und Integration lagen vor der Abschiebung verschiedene Eingaben mit der dringlichen Aufforderung nach einem Stopp der Abschiebung vor. Die Proteste und die Hinweise auf die verheerende Menschenrechtslage in Tadschikistan wurden von den nordrhein-westfälischen Behörden und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge jedoch ignoriert. Ein Einzelrichter des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen wies zwei Eilanträge des Mannes zurück, die er während der wochenlangen Inhaftierung im Abschiebegefängnis Büren stellte. Abdullohi Shamsiddin sei es nicht gelungen, eine „Verfolgungsfurcht glaubhaft darzulegen“. Die Abschiebung wurde durchgezogen, Abdullohi Shamsiddin landete in Strafhaft. Hugh Williamson, Direktor der Abteilung Zentralasien bei Human Rights Watch, bezeichnete die Abschiebung als klaren „Fehler der deutschen Behörden“.

Der Vater von Abdullohi Shamsiddin lebt als führendes Parteimitglied der in Tadschikistan verbotenen Partei der Islamischen Wiedergeburt (PIWT) im europäischen Exil, genauso wie die Ehefrau und die kleinen Kinder von Abdullohi Shamsiddin. „Das Rahmon-Regime hat meinen Vater getötet, mich zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt und jetzt meinen Sohn Abdullo zu 7 Jahren verurteilt“, schreibt der Vater auf seiner Facebook-Seite.* Es steht zu befürchten, dass die tadschikischen Behörden weitere Informationen aus Abdullohi Shamsiddin herauspressen wollen, etwa über Tadschik:innen im europäischen Exil. Ein Smartphone des Mannes wurde beschlagnahmt und ausgewertet. Angehörige und nahe stehende Personen werden massiv unter Druck gesetzt. Ende April 2023 berichtete Radio Ozodi, dass nun auch ein Cousin von Abdullohi Shamsiddin in Tadschikistan festgenommen worden sei. Somit hat die Abschiebung aus Dortmund die Repression in Tadschikistan noch einmal mit gesteigert.

NRW-Behörden kooperieren weiter munter mit einem der repressivsten Staaten der Welt

Tadschikistan ist einer der repressivsten Staaten der Welt, wie die Berichte von Human Rights Watch, dem Norwegischen Helsinki Komitee und weiteren Menschenrechtler:innen eindrücklich zeigen. Folter und Sippenhaft sind dort gängig.

Doch die nordrhein-westfälischen Behörden setzen die Kooperation mit diesem Staat auch nach der fatalen Abschiebung von Abdullohi Shamsiddin ungeschmälert fort. Dies geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf Anfrage aus Reihen der Linksfraktion im Bundestag hervor (BT-Drs. 20/6291). Demnach war Anfang März 2023 erneut eine tadschikische Delegation bei der Zentralen Ausländerbehörde Essen zu Gast, um gemeinsam mit den nordrhein-westfälischen Behörden weitere Abschiebungen nach Tadschikistan vorzubereiten. Bei einer ersten Sammelanhörung im Juni 2022 in Essen sind nach Angaben der Bundesregierung von 34 vorgeladenen Personen bisher 25 als tadschikische Staatsbürger:innen identifiziert worden. Von diesen seien bei sieben Personen bisher Reisepapiere ausgestellt worden, die eine Abschiebung ermöglichen würden, so die Bundesregierung weiter (Stand: 03. April 2023).

Insgesamt leben nach Angaben der Bundesregierung in Deutschland 1.635 Menschen mit tadschikischer Staatsangehörigkeit nur mit einer Duldung im Land. Davon lebt der weit überwiegende Teil von 1.436 Menschen in Nordrhein-Westfalen (sh. BT-Drs. 20/6291).

Im nordrhein-westfälischen Landtag ist die Abschiebung dagegen bisher kein Thema geworden.

Bundesregierung will Verurteilung von Abdullohi Shamsiddin bei tadschikischen Behörden ansprechen

Der zum 01. März 2023 zum Koordinator für die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit dem südlichen Kaukasus, der Republik Moldau sowie Zentralasien im Auswärtigen Amt berufene NRW-Bundestagsabgeordnete Robin Wagener (Bündnis 90/Die Grünen) hat in einem Tweet öffentlich angesprochen, dass er den Prozess gegen Abdullohi Shamsiddin und die Menschenrechtslage in Tadschikistan gegenüber den tadschikischen Behörden klar ansprechen wolle. Was daraus folgt und welche Maßnahmen die Bundesregierung konkret vorsieht, um Menschen vor einer Verfolgung durch das tadschikische Regime zu schützen, ist völlig unklar. Die Abgeordnete der Linkspartei im Bundestag Clara Bünger forderte die Anpassung der Entscheidungspraxis des BAMF in Bezug auf Tadschikistan.

Dortmunder Unterstützer:innenkreis fordert Abschiebestopp für Tadschikistan

Der Dortmunder Unterstützer:innenkreis sorgt derweil unermüdlich weiter für Öffentlichkeit. Mehrmals monatlich werden Mahnwachen in Dortmund organisiert.. Die Unterstützer:innen fordern die sofortige Freilassung von Abdullohi Shamsiddin und die Ermöglichung seiner Rückkehr nach Deutschland. Außerdem fordert der Unterstützer:innenkreis ein Tätigwerden der deutschen Bundesregierung sowie einen Abschiebestopp für Tadschikistan, der die Bedrohungslage für Oppositionelle und Andersdenkende ernst nehmen würde.

Seit 2015 wurden 66 Menschen aus NRW nach Tadschikistan abgeschoben, Tendenz zuletzt stark steigend. Allein im Januar 2023 waren sechs Menschen betroffen (sh. BT-Drs. 20/6291).

Die bereits seit März 2023 laufende urgent action von Amnesty International mit dem Appell zur Freilassung von Abdullohi Shamsiddin kann noch bis 06. Juni 2023 unterstützt werden.

* Übersetzung durch Abschiebungsreporting NRW

Kontakt:
Abschiebungsreporting NRW
Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.
Sebastian Rose
Telefon 0221 / 972 69 32
Mobil 01575 / 40 35 862
E-Mail: rose@abschiebungsreporting.de

Mehr:

Dortmund: Zwei Monate nach der Abschiebung von Abdullohi S. fordert sein Unterstützer:innenkreis unermüdlich Aufklärung. Jetzt zieht der Protest nach Berlin, Report Abschiebungsreporting NRW vom 24. März 2023

Dortmund: 7 Tage nach Abschiebung eines Oppositionellen nach Tadschikistan fehlt von dem Mann jede Spur, Report Abschiebungsreporting NRW vom 25. Januar 2023

Will die Stadt Dortmund einen tadschikischen Oppositionellen abschieben? Report Abschiebungsreporting NRW vom 21. Dezember 2022


Deutschland: Besorgniserregende Abschiebung von tadschikischem Aktivisten, Bericht von Human Rights Watch vom 20. März 2023

Urgent Action“ von amnesty international, Tadschikistan. Nach Abschiebung verschwunden, 10. März 2023

Presseberichte:

Protest gegen Abschiebung nach Tadschikistan, in: nd vom 21. Mai 2023