Dortmund: Zwei Monate nach der Abschiebung von Abdullohi S. fordert sein Unterstützer:innenkreis unermüdlich Aufklärung

Jetzt zieht der Protest nach Berlin.

Vor zwei Monaten wurde der 33-jährige zweifache Familienvater Abdullohi S. nach Tadschikistan abgeschoben. Seit dem zieht der Unterstützer:innen- und Freundeskreis des Mannes immer wieder mit Mahnwachen vor die Ausländerbehörde der Stadt Dortmund, die die Abschiebung vollstreckt hat. Ab heute und in den nächsten Tagen wird der Protest vor der tadschikischen Botschaft und dem Auswärtigen Amt in Berlin fortgesetzt.

Angehörige und Freund:innen des Mannes machen sich große Sorgen, denn Berichten verschiedener Medien und Menschenrechtsorganisationen zufolge befindet sich der Mann seit seiner Ankunft in einem Gefängnis der tadschikischen Sicherheitsbehörden.

Amnesty international hat jüngst eine „urgent action“ gestartet, mit deren Hilfe sich Menschen in Deutschland und weltweit für die Freilassung des Mannes einsetzen können. Human Rights Watch beschreibt in seinen Texten in eindringlichen Worten die desaströse Menschenrechtslage in Tadschikistan und fragt, „warum die deutschen Behörden S. abgeschoben haben, obwohl das Völkerrecht die Zurückweisung in ein Land, in dem der Person Folter oder eine andere grausame und unmenschliche Behandlung droht, verbietet“. Das Abschiebungsreporting NRW reicht diese Frage direkt an das NRW-Flucht-Ministerium weiter, dem die Akte des Mannes vor der Abschiebung am 18. Januar 2023 vorlag.

Abschiebung ist ein Politikum: Nur nicht in Dortmund und Landeshauptstadt Düsseldorf?

Die Abschiebung von Abdullohi S. direkt ins tadschikische Gefängnis ist längst ein Politikum, trotzdem lassen die Behörden in Nordrhein-Westfalen den Fall unkommentiert: Ein Statement des Dortmunder Oberbürgermeisters Thomas Westphal oder von Ministerin Josefine Paul ist nicht bekannt geworden. Und das, obwohl die Ruhr Nachrichten als örtliche Tageszeitung in Dortmund nun seit Dezember 2022 durchgehend berichten. Auch bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschien kürzlich ein Artikel unter der Überschrift „Faustpfand für Rachmon? Warum Deutschland einen Tadschiken trotz Foltergefahr abschiebt“. Emomali Rachmon ist Präsident in Tadschikistan und damit Hauptverantwortlicher für die Menschenrechtslage des Landes.

Das Flucht-Ministerium in Düsseldorf verwies auf Anfrage der taz Anfang Februar 2023 auf mehrere asylrechtliche Gerichtsentscheidungen, an die die „Landesregierung selbstverständlich gebunden“ sei. Was aber, wenn das Gericht offenbar mit seinen Annahmen komplett falsch lag? Ein Einzelrichter des Gelsenkirchener Verwaltungsgerichtes hatte im Januar 2023 in zwei Entscheidungen im Eilverfahren die Abschiebung des Mannes durchgewunken, nach Aktenlage und ohne mündliche Verhandlung, nur wenige Tage nach der Zurückweisung eines Asylfolgeantrages des Mannes durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Dabei glaubte das Gericht Abdullohi S. nicht die Abstammung von seinem Vater, der ein führendes Oppositionsmitglied der in Tadschikistan verbotenen Partei PIWT ist und in Deutschland bereits Flüchtlingsschutz erhalten hat.

Andere Behörden, die Stadt Dortmund und die Zentrale Ausländerbehörde Essen (ZAB), wussten aber sehr genau, wer Abdullohi S. ist. Im Juni 2022 bereiteten sie die Abschiebung bereits vor. Damals waren erstmals Vertreter:innen der tadschikischen Botschaft bei der Zentralen Ausländerbehörde Essen zu Gast. Vorgeladen wurden Menschen, die zukünftig abgeschoben werden sollten, darunter Abdullohi S.

Zieht die Landesregierung Lehren aus der Abschiebung?

Wird die Landesregierung die Kooperation mit dem tadschikischen Regime fortsetzen? Immerhin rund 1.500 Menschen aus Tadschikistan wird bisher das Bleiberecht in Nordrhein-Westfalen verweigert, sie leben nur mit einer Duldung im Land. Wird sich auch die Landesregierung selbst für eine Aufklärung des Verbleibs von Abdullohi S. einsetzen und seine Freilassung fordern? Wird sich die Landesregierung darüber hinaus dafür einsetzen, dass Abdullohi S. wieder nach Deutschland einreisen kann, oder nach Litauen, wo seine Ehefrau und Kinder mit Flüchtlingsschutz leben?

„Deutschland hat von Tadschikistan die Zusicherung erhalten, dass S. im Falle einer Rückführung nicht misshandelt würde, wie mit dem Fall vertraute Personen berichten“, schreibt Human Rights Watch. Was sind das für Abmachungen zwischen den Behörden in NRW und der tadschikischen Regierung, fragt das Abschiebungsreporting NRW? Was hat die ZAB Essen mit den tadschikischen Behörden konkret für Informationen ausgetauscht?

Ausblick: Hoffen auf Aufklärung

Familienangehörige von Abdullohi S. und seine Freund:innen hoffen nun zunächst, dass das Auswärtige Amt aktiv wird. Durch den öffentlichen Druck konnte schon mal erreicht werden, dass sich der Deutsche Botschafter in Tadschikistan Dr. Andreas Prothmann an das tadschikische Außenministerium gewendet und nach dem Verbleib von Abdullohi S. gefragt habe, wie die Ruhr Nachrichten berichten. Bisher gebe es allerdings keine Antwort. Eine Kleine Anfrage im Bundestag fordert ebenfalls Aufklärung.

Verschiedenen Hinweisen zufolge könnte Tadschikistans Präsident Rachmon in Kürze Deutschland besuchen und würde dann auch auf Vertreter:innen der Bundesregierung treffen. Sollte dies der Fall sein, muss sich die Bundesregierung glaubhaft und unmissverständlich für die sofortige Freilassung von Abdullohi S. einsetzen. Ihm sollte im Anschluss daran die sofortige Rückreise in die EU ermöglicht werden, damit er ohne Verfolgung gemeinsam mit seiner Familie leben kann.

Kontakt:
Abschiebungsreporting NRW
Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.
Sebastian Rose
Telefon 0221 / 972 69 32
Mobil 01575 / 40 35 862
E-Mail: rose@abschiebungsreporting.de

Mehr:
Dortmund: 7 Tage nach Abschiebung eines Oppositionellen nach Tadschikistan fehlt von dem Mann jede Spur, Report Abschiebungsreporting NRW vom 25. Januar 2023

Will die Stadt Dortmund einen tadschikischen Oppositionellen abschieben? Report Abschiebungsreporting NRW vom 21. Dezember 2022

Urgent Action“ von amnesty international, Tadschikistan. Nach Abschiebung verschwunden, 10. März 2023

Presseberichte

Sieben Jahre Knast in Tadschikistan, weil deutsche Behörden falsch entscheiden, in: VICE vom 30. März 2023

Repression in Tadschikistan. Sieben Jahre Haft für ein „Like“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 30. März 2023

Tajikistan: Activist deported by Germany gets seven years in prison, in: Eurasianet vom 30. März 2023

Dortmunder Abdullohi Shamsiddin in Tadschikistan zu Haftstrafe verurteilt. „Sieben Jahre für nichts“, in: Ruhr Nachrichten vom 01. April 2023

Tadschikischer Oppositioneller. Sieben Jahre Haft für Abgeschobenen, in: taz vom 05. April 2023

Kritik nach Abschiebung eines Tadschiken aus Dortmund. „Desaster für das deutsche Asylsystem“, in: Ruhr Nachrichten vom 28. April 2023

Genau hingeschaut. Das Projekt Abschiebungsreporting NRW schafft eine Öffentlichkeit für fragwürdige Abschiebungen, in: nd vom 02. Mai 2023