Kreis Borken: Berufstätiger Mann durch Abschiebung nach Pakistan von Verlobter getrennt

Festnahme in Ausländerbehörde

Gemeinsame Meldung von Abschiebungsreporting NRW und Hum Hain Pakistan e.V.

Der Kreis Borken hat am 15. März 2023 einen Mann nach Pakistan abgeschoben. Der Mann wurde durch die Abschiebung von seiner Verlobten getrennt, die ein festes Aufenthaltsrecht in Deutschland aufgrund des Krieges in der Ukraine hat und in einem anderen Bundesland lebt. Wenige Tage zuvor, am 13. März 2023, nahm die Ausländerbehörde des Kreises Borken den Mann bei einem regulären Termin zur Verlängerung der Duldung im Amt fest und sperrte ihn bis zur Abschiebung auf Basis eines Gerichtsbeschlusses im Abschiebegefängnis Büren ein. Der Mann arbeitete seit längerer Zeit, zuletzt als Lagerhelfer. Mit der Abschiebung riss die Behörde ihn aus seinem in Deutschland über Jahre aufgebauten Leben.

Festnahmen in Ausländerbehörden sind in Nordrhein-Westfalen und bundesweit eine gängige Praxis, die diese Ämter für die Betroffenen und viele andere zu Orten der Angst machen. Die Landesregierung NRW bestritt jüngst jedoch auf Landtagsanfrage, eine solche Praxis zu kennen (LT-Drs. 18/2102) oder darüber eine Statistik zu führen. Dem abgeschobenen Mann wird eine Identitätstäuschung vorgeworfen, die jedoch mittlerweile aufgeklärt ist.

Samar Khan, Hum Hain Pakistan e.V.:

„Wieder wurde ein Mann aus seinem in Deutschland über Jahre aufgebauten Leben herausgerissen. Seine Verlobte wird er wohl über lange Zeit nicht sehen können. Am 15. März 2023 wurden zahlreiche Menschen aus mehreren Bundesländern in einem Sammelcharter nach Pakistan abgeschoben. Dort ist die Versorgungslage nach der verheerenden Flut im letzten Jahr weiterhin katastrophal, was deutsche Behörden jedoch nicht berücksichtigen. Der Mann verfehlte die Frist für das neue Chancen-Aufenthaltsrecht nur um wenige Monate.“

Pakistan war im vergangenen Jahr von einer Jahrhundertflut katastrophalen Ausmaßes betroffen. Nach Angaben der Vereinten Nationen war ein Drittel des Landes überflutet, 15.000 Menschen starben, mehr als zwei Millionen Häuser seien beschädigt oder zerstört worden. Nach Angaben von UNICEF lebten Mitte Januar 2023 noch immer rund vier Millionen Kinder in der Nähe von kontaminierten und stehenden Hochwassern, was für sie ein Überlebensrisiko bedeutet. In Pakistan leben über 200 Millionen Menschen. Der Flüchtlingsbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland Bischof Christian Stäblein forderte angesichts der verheerenden Überschwemmungen in Pakistan im Oktober 2022 einen vorübergehenden Abschiebestopp. Der Flüchtlingsrat Nordrhein-Westfalen e.V. forderte zudem, dass klimabedingte Katastrophen als Hinderungsgrund für Abschiebungen bei den Entscheidungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge stärker Berücksichtigung finden müssten. Deutschland als großer Emittent von klimaschädlichen Gasen und Industrienation trägt für den Menschen gemachten Klimawandel eine besonders hohe Verantwortung.

Doch die Forderungen aus Kirche und Zivilgesellschaft fanden in Nordrhein-Westfalen kein Gehör. So beteiligten sich NRW-Behörden auch an den Sammelabschiebungen nach Pakistan im Oktober und November 2022 (sh. BT-Drs. 20/5795). Dem Abschiebungsreporting NRW wurden seither auch Abschiebungen nach Pakistan per Linienflugzeug bekannt. Und das Düsseldorfer Ministerium für Flucht und Integration wies jegliche Verantwortung für einen möglichen Abschiebestopp an die Bundesregierung weiter.

Kontakt:
Abschiebungsreporting NRW
Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.
Sebastian Rose
Mobil 01575 / 40 35 862
E-Mail: rose@abschiebungsreporting.de

Hum Hain Pakistan e.V.
Samar Khan
Telefon 0176 / 83 11 72 05

Hintergrund:

Der nun aus dem Kreis Borken abgeschobene Mann lebte seit rund fünf Jahren in Deutschland und war seit längerer Zeit berufstätig, zuletzt als Lagerhelfer. Das mit „sehr gut“ bewertete Zwischenzeugnis seiner aktuellen Arbeitgeberin liegt dem Abschiebungsreporting NRW und Hum Hain Pakistan e.V. vor. Nach mehr als 4,5 Jahren Wartezeit war sein Asylantrag im Herbst 2022 gerichtlich abgelehnt worden. Da der Mann erst im März 2018 nach Deutschland geflüchtet ist, konnte er keinen Antrag auf Erteilung des sogenannten Chancen-Aufenthaltsrechts stellen. Die jüngst in Bundestag und Bundesrat verabschiedete und in Kraft getretene Bleiberechtsreform sieht dafür als Einreisedatum den Stichtag 31.10.2017 vor. Der Mann verfehlt diese Stichtagsregelung um rund fünf Monate. Eine Eingabe des Mannes an die nordrhein-westfälische Härtefallkommission wurde im Februar 2023 zurückgewiesen.

Im März 2023 besuchte NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann eine Versammlung im Kreis Borken und diskutierte dort mit den Teilnehmenden über den Mangel an Arbeitskräften in Nordrhein-Westfalen. Der Landtag in Düsseldorf nahm im März 2023 einen Entschließungsantrag unter der Überschrift „Ausbildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten verbessern, dem Arbeits- und Fachkräftemangel entgegenwirken – qualifizierten Geduldeten eine dauerhafte Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis ermöglichen (LT-Drs. 18/3298) mit den Stimmen der Regierungsfraktionen an.

Mehr:
Sechs Monate nach Jahrhundertflut in Pakistan: Bund und Länder führen heute Abend erneut Sammelabschiebung durch, Gemeinsame Presseinformation von Bayerischem Flüchtlingsrat, Flüchtlingsrat Rheinland-Pfalz, Hum Hain Pakistan e.V. und Abschiebungsreporting NRW vom 15. Februar 2023

Presseberichte

Genau hingeschaut. Das Projekt Abschiebungsreporting NRW schafft eine Öffentlichkeit für fragwürdige Abschiebungen, in: nd vom 02. Mai 2023