News #3 zu Abschiebungen und zur Abschiebungspraxis in Nordrhein-Westfalen

Wir stellen in unregelmäßigen Abständen einen Newsletter mit Beiträgen, Presseberichten, Materialien, Projekten/Terminen (Nordrhein-Westfalen und Umgebung) rund um das Thema Abschiebungen und Abschiebungspraxis in Nordrhein-Westfalen zur Verfügung.

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Die Blicke ostwärts auf den Krieg und seine Folgen sind in den letzten Tagen erdrückend und erschütternd. Groß ist die Solidarität in Nordrhein-Westfalen und europaweit. Dies darf aber nicht den Blick auf die fortlaufende Abschiebungspraxis verdecken. Denn: Nicht allen gilt die Solidarität. Immer wieder werden Menschen hinterrücks in den Behörden festgenommen: allein in den letzten Wochen erhielten wir Berichte zu Festnahmen in den Ausländerbehörden Wuppertal, Siegen, Oberhausen und im Rathaus Versmold. Aus Köln liegt uns ebenfalls ein Bericht vor. Auch dort werden Menschen in der Ausländerbehörde festgenommen und in Abschiebungshaft verbracht. Mit Schlagwörtern wie „Willkommensbehörde“ sind solche Orte nicht in Einklang zu bringen, in denen Geflüchtete auf perfide Art und Weise festgenommen werden.

Beiträge

Handschellen, verbale Gewalt, unverhältnismäßige Härte: Nachtabschiebung nach Ägypten aus Kreis Kleve

Dass Abschiebungen nicht nur Geflüchtete betreffen, sondern auch viele andere Menschen, ist bekannt, wird aber wenig diskutiert. Auch Studierende können abgeschoben werden, nämlich dann, wenn sie etwa ihr Studium nicht schaffen oder aber erkranken. Unser Bericht über eine Abschiebung aus dem Kreis Kleve wirft ein Schlaglicht auf dieses Feld. Ein 26-jähriger Mann wurde im Herbst 2021 aus Kleve nach Ägypten abgeschoben, unter entwürdigenden Bedingungen: in Handschellen gelegt, verbaler Gewalt ausgesetzt. Fünf Jahre zuvor war er zum Studium nach Nordrhein-Westfalen gekommen. Einige Zeit später erkrankte er schwer psychisch, die Fortsetzung des Studiums war nicht möglich. Gerade als er auf dem Weg der Besserung und der Stabilisierung war, folgte die nächtliche Abschiebung. Die Beamt:innen drangen ohne Durchsuchungsbeschluss in die Mietwohnung des Mannes ein.

Weitere Abschiebungen aus NRW

Abschiebung nach Rumänien: Stadt Köln und BAMF trennen schwangere jesidische Frau von Ehemann

Trotz vielerlei Protest hat die Stadt Köln am 03. Februar 2022 eine schwangere Jesidin aus dem Irak nach Rumänien abgeschoben, obwohl ihr Ehemann in Köln lebt (sh. auch NEWS #2). Zuvor sperrte die Stadt die Frau für 24 Tage in der Abschiebungshaft Ingelheim ein. Die Durchsetzung der Abschiebung hatte höchste Priorität. Viele Behörden und Gerichte stimmten ihr zu. Auch die in der Abschiebungshaft festgestellte Schwangerschaft der Frau führte nicht zu einem Einlenken des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Auch das Verwaltungsgericht Minden ließ die Abschiebung passieren. Dabei sind alleine beim Oberverwaltungsgericht Münster nach dortiger Auskunft zurzeit insgesamt 11 Berufungsverfahren zur Frage von Abschiebungen nach Rumänien anhängig: ein hoch umstrittenes Thema.

Mit der Schwangerschaft lag bei der Frau eine besondere Schutzbedürftigkeit vor. Nach Ankunft in Bukarest wurde sie jedoch direkt weiter inhaftiert. Ihr wurde gar die Abschiebung in den Irak angedroht, was eine Kettenabschiebung bedeuten würde. Diese Erfahrungen der Frau kontrastieren in diesen Tagen besonders bitter mit den Willkommensszenen ukrainischer Geflüchteter in Rumänien.

Im Gespräch mit dem Kölner Stadt Anzeiger haben wir die harsche Abschiebungspraxis der Stadt Köln kritisiert. 215 Menschen wurden allein 2021 aus der Stadt abgeschoben.

Abschiebung eines Ehepaares nach über 9 Jahren in NRW nach Aserbaidschan

Der Hellweger Anzeiger berichtet über die Abschiebung eines aserbaidschanischen Ehepaares nach rund 10 Jahren in NRW. Verantwortlich: der Kreis Unna. Die Familie lebte in der Stadt Kamen und wurde am 15. Februar 2022 abgeschoben. Der Mann war unbefristet berufstätig. Die Dramatik der Abschiebung liegt aber in der Situation der Frau. Sie wurde trotz einer schweren psychischen Erkrankung abgeschoben, die über Jahre hinweg bestand. Die Familie hätte auch vom sogenannten Chancen-Aufenthaltsrecht, das die Bundesregierung plant, profitiert. Demnach sollen alle Menschen, die zum 01. Januar 2022 seit fünf Jahren in Deutschland leben und straffrei sind, ein Bleiberecht „auf Probe“ erhalten. Doch die Absichtserklärung aus dem Koalitionsvertrag des Bundes ist bisher nicht umgesetzt. Und die Landesregierung weigert sich bisher – anders als Bremen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Thüringen – eine Vorgriffsregelung zu treffen, mit fatalen Folgen für viele Menschen wie auch dieses Ehepaar.

Nach Abschiebung einer sechsköpfigen Familie nach Aserbaidschan: ein ganzes Dorf ist wütend

Im gleichen Sammelcharter am 15. Februar 2022 ab Düsseldorf nach Aserbaidschan wurde auch eine sechsköpfige Familie aus Bösensell (Kreis Coesfeld) abgeschoben. Dabei wurden drei der Kinder aus ihren Schulen gerissen. Zwei besuchten die Grundschule in Bösensell, ein Kind bereits die weiterführende Schule. Besonders die Umstände der morgendlichen Abschiebung sorgten im Dorf für große Empörung. So fuhr ein Transporter vor, der wie ein Gefangenentransporter aussah, um die Kinder mit ihren Eltern abzuholen, und zwar genau zu der Zeit, als die übrigen Kinder des Dorfes auf ihrem Schulweg waren: ein für alle Kinder traumatischer Vorgang. Mittags ging dann das Flugzeug. Die Westfälischen Nachrichten berichteten.

Abschiebung eines konvertierten Christen aus Kreis Gütersloh

Die Festnahme und darauf folgende Abschiebung eines Mannes aus Versmold (Kreis Gütersloh) sorgte für große Empörung. Die evangelische Kirchengemeinde Versmold erhebt schwere Vorwürfe gegen den Kreis. Dem konvertierten Christen könnten in seinem Heimatland erhebliche Konsequenzen drohen. Aus Schutz für den Mann wurde das Zielland der Abschiebung nicht öffentlich genannt. Der Mann war bei einem Routinetermin im Rathaus Versmold festgenommen und daraufhin direkt abgeschoben worden. Auch er lebte bereits sieben Jahre in Deutschland.

Verhinderte Abschiebungen

Frau wird für vier Tage getrennt von Kindern (2,5,7 Jahre) und Mann in Abschiebungshaft gesperrt: Lauter Aufschrei der Zivilgesellschaft verhindert vorerst Abschiebung aus Aue-Wingeshausen

Was am 11. Februar 2022 in der Ausländerbehörde Siegen geschieht, ist für eine Frau, ihren Ehemann und die drei kleinen Kinder traumatisch. Die Frau spricht an jenem Freitag mit einem Begleiter in der Behörde vor, um ihren Ausbildungsvertrag als Friseurin vorzulegen. Doch kurze Zeit später wird sie im Amt festgenommen. Das Amtsgericht ordnet für die Mutter dreier Kinder (2,5,7 Jahre) wenig später Abschiebungshaft an. Die Frau wird von ihrer Familie getrennt.

Die Abschiebung sorgt umgehend für große Empörung in den sozialen Medien. Auch das örtliche Bündnis im Kreis Siegen-Wittgenstein „Recht zu bleiben“, das die Familie schon seit Monaten unterstützt, wird laut. Die Empörung erreicht am Samstag auch die Landesregierung. Vizeministerpräsident Stamp fühlt sich berufen, eine Überprüfung durch sein Ministerium öffentlich anzukündigen. Doch den Rest des Wochenendes bleibt die Frau dennoch in Abschiebungshaft: nur ein Teil einer sehr bitteren Geschichte für die Familie.

Beide Eltern haben Ausbildungsplatzangebote, der Mann in der Pflege. Er möchte nicht nach Aserbaidschan, wo er zum Militärdienst einberufen würde, gerade in diesen Tagen ein mehr als berechtigtes Anliegen. Doch der Kreis Siegen-Wittgenstein hat bisher kein Einlenken ermöglicht. Im Gegenteil: Durch die Eskalation mit der Inhaftierung der Frau in der Behörde hat Landrat Müller (SPD) viel Vertrauen zunichte gemacht. Und am 14. Februar 2022 fühlte sich der Landrat dann noch berufen, die Öffentlichkeit zu täuschen, indem er sagte, die Frau könne jetzt aus einer Sammelunterkunft zur Familie zurückkehren. Dabei ist Ingelheim ein Abschiebungsgefängnis und nichts anderes. Leider hat selbst der WDR diese Beschönigung des Landrates unverändert übernommen.

Mittlerweile hat sich der Petitionsausschuss des Landtages mit der Situation der Familie befasst. Ein Härtefallverfahren wird ermöglicht, sodass die Abschiebung weiterhin ausgesetzt ist. Gleichzeitig läuft die politische Aufarbeitung des Vorgehens der Ausländerbehörde im Kreistag des Kreises Siegen-Wittgenstein.

Abschiebung aus Wuppertal nach Gambia nach mehreren Tagen Abschiebungshaft vorerst verhindert

In Wuppertal das gleiche Bild: Ein 24-jähriger Mann geht im Februar 2022 zur Ausländerbehörde zu einem Routinetermin. Doch er wird festgenommen und ins Abschiebungsgefängnis nach Büren gebracht. Ein örtliches Bündnis wird umgehend laut und protestiert vor der Behörde. Auch Abgeordnete schalten sich ein. Wenig später wird die Freilassung des Mannes erreicht. Der Petitionsausschuss des Landtages wird eingeschaltet. Auch dieser Mann würde wohl vom sogenannten Chancen-Aufenthaltsrecht, das die Bundesregierung plant, profitieren. Mangels Umsetzung oder Vorgriffsregelung in Nordrhein-Westfalen musste er jedoch erniedrigende Tage im Abschiebungsgefängnis ertragen.

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