News #2 zu Abschiebungen und zur Abschiebungspraxis in Nordrhein-Westfalen

News #2 zu Abschiebungen und zur Abschiebungspraxis in Nordrhein-Westfalen (01/2022)

Wir stellen in unregelmäßigen Abständen einen Newsletter mit Beiträgen, Presseberichten, Materialien, Projekten/Terminen (Nordrhein-Westfalen und Umgebung) rund um das Thema Abschiebungen und Abschiebungspraxis in Nordrhein-Westfalen zur Verfügung. Folgt und auch bei Twitter: https://twitter.com/abschiebung_nrw

(Wir bitten euch, uns zu informieren über relevante Inhalte, die wir mit aufnehmen könnten. Hier ist auch noch einmal der Hinweis verlinkt, was wir machen und wie die Zusammenarbeit mit uns aussieht.)

Abschiebungen aus Nordrhein-Westfalen

Sammelabschiebung nach Nigeria
Das NetzwerkRefugees4Refugees berichtet von der Sammelabschiebung von Düsseldorf nach Nigeria. Österreich und Deutschland schoben am 23. November 2021 32 Menschen dorthin ab. Die ansteigenden Corona-Infektionszahlen in der Pandemie machten hier keine Ausnahme. Rigoros sperrten die Behörden viele Menschen auch vor der Abschiebung in Abschiebungsgefängnisse. Bei diesem Flug seien ca. 90 Prozent der Abgeschobenen davon betroffen gewesen. Nach der Abschiebung gab es für alle eine Zwangsquarantäne. Viele der abgeschobenen Menschen blieben völlig mittellos in Lagos stecken. Refugees4Refugees baut ein Patenschaftsnetzwerk auf, um internationale Solidarität zu üben. Hier ist der vollständige Bericht.

16-jährige jugendliche Romni mit geistiger Behinderung trotz Risikoschwangerschaft aus Köln abgeschoben
Die Stadt Köln nutzte ein historisches Datum, um eine vierköpfige Rom:nja-Familie nach Albanien abzuschieben. Während andernorts am 16. Dezember 2021 in Gedenkstunden an den Völkermord an den Sinti und Roma gedacht wurde, drangen Mitarbeiter:innen der Stadt Köln am frühen Morgen gewaltvoll in die Wohnung einer Familie ein. Unter den vier abgeschobenen Personen befand sich auch eine 16-jährige jugendliche Romni mit geistiger Behinderung, die sich in der 19. Schwangerschaftswoche befand und in Köln zur Schule ging.

Marianne Arndt, Gemeindereferentin und Mitglied der AG Bleiben, hat die erschütternde Abschiebung aus Köln als „Desaster der Menschlichkeit“ bezeichnet und ausführlich dokumentiert. Das Aufschreiben dieser gewaltvollen Abschiebung ist ein wichtiger Beitrag zur Dokumentation nordrhein-westfälischer Abschiebungspolitik, die von der Landesregierung vorgeprägt wird. Die Initiative “Wir haben Platz”, die AG Bleiben und die Seebrücke Köln stellten angesichts dieser Abschiebung völlig zu Recht die Frage, ob der Schutz von Geflüchteten in Köln nur ein Lippenbekenntnis ist. Sicherer Hafen, Aufnahmebeschlüsse für Geflüchtete von der belarussischen Grenze und gleichzeitig solche Abschiebungen? Der Kölner Stadt-Anzeiger berichtete über die Abschiebung. Durch die Abschiebung wurde die Schwangerschaft der Jugendlichen gefährdet. Entgegen der Aussagen der Stadt Köln, denen auch das Verwaltungsgericht folgte, wurde sie nicht nach Ankunft in Tirana durch Ärzt:innen in Empfang genommen. Auch vier Mobilfunkgeräte der Familie, die bei der Abschiebung abgenommen worden sind, hat die Familie bis heute nicht zurückerhalten.

Sammelabschiebung nach Ghana

Nur freien Journalist:innen und einigen Aktivist:innen ist es zu verdanken, dass die Sammelabschiebung nach Ghana am 30. November 2021 nicht völlig ohne Zeug:innen im Verborgenen geblieben ist. Um 3.13 Uhr in der Nacht startete das Flugzeug am Flughafen Hannover-Langenhagen. An Bord waren 25 Menschen, darunter mindestens zwei Kinder. Auch Nordrhein-Westfalen beteiligte sich an dieser Sammelabschiebung. Wie der freie Journalist Michael Trammer schildert, mussten die betroffenen Personen teils stundenlang in Gefangenentransportern warten. Ein Gefängnisbus der ZAB Bielefeld wurde in Hannover gesichtet. Ein ausführlicher Twitter-Thread gibt Einblicke in das Abschiebungsregime dieser Nacht. Das Beispiel zeigt auf, wie Menschen zwecks Abschiebung wie Gefangene behandelt werden, natürlich alles in tiefer Nacht.

Nachtabschiebung eines alleinerziehenden afghanischen Vaters mit vier Kindern von Oberhausen nach Kroatien

Ende November 2021 schoben die Behörden einen alleinerziehenden afghanischen Vater aus Oberhausen nach Kroatien ab, mit seinen vier Kindern, mitten in der Nacht. Dabei war die Mutter der vier Kinder just dort in Kroatien auf der Flucht gestorben, bei einem Unfall. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) lenkte aber nicht ein und überführte das Asylverfahren der Familie nicht in das nationale Verfahren, nein im Gegenteil: Es nutzte vielmehr die viel kritisierte Fristentrickserei mit der Dublin-III-Verordnung während der Pandemie, um die Familie doch noch nach Kroatien abschieben zu lassen. Laut NRZ setzte das BAMF die Frist für die Abschiebung in diesem Fall im März 2020 aus, widerrief diese Aussetzung erst im Juni 2021 und ging dann davon aus, dass die Sechs-Monats-Frist komplett von neuem begonnen sei. Nur so war es möglich, dass die Dublin-Abschiebungsfrist, die bei diesem Fall bereits im Januar 2020 begonnen hatte, noch fast 2 Jahre später zu Anwendung gekommen ist. Der Anwalt der Familie hat nun beim Verwaltungsgericht Arnsberg einen Antrag gestellt, um die Familie zurückzuholen. Doch er rechnet nicht mit einer baldigen Entscheidung, denn die Fristenthematik ist Gegenstand eines Verfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof (sh. dazu etwa die Übersicht im Asylmagazin 6/2021, S. 199) die die Arnsberger Richter:innen möglicherweise erst abwarten werden.

Für große Empörung in Oberhausen sorgte aber auch die Tatsache der überfallartigen nächtlichen Abschiebung der Familie. Denn die Landesregierung „bittet“ seine Ausländerbehörden schon seit 2016 per Erlass (Erlass des Ministeriums für Inneres und Kommunales v. 13. Januar 2016), Familien mit Kindern unter 14 Jahren nicht in der Zeit von 21 Uhr bis 6 Uhr abzuschieben. Ob eine solche „Bitte“ aber etwas wert ist, ist höchst fraglich. Kindeswohlerwägungen wurden jedenfalls offenbar nicht angestellt. Eine nächtliche Abschiebung, manchmal mit Gewalt verbunden, sei insbesondere für Kinder ein traumatisches Ereignis, kritisierte der Flüchtlingsrat Nordrhein-Westfalen e.V. im Bericht der Lokalzeit Ruhr im WDR. Im Nachgang der Abschiebung entwickelte sich eine Debatte in der Zivilgesellschaft und im Stadtrat der Stadt Oberhausen. Mehrere Fraktionen fordern die Rückholung der Familie. Wie es der Familie und insbesondere den Kindern aktuell geht, berichtet der Oberhausener Caritas-Direktor Michael Kreuzfelder, der weiter im Kontakt mit der Familie steht, gegenüber der NRZ: Er berichtet von einem „einem abbruchreifen Hotel“, in dem die Familie untergebracht ist. „Sie dürfen das Gelände nicht verlassen, die Kinder können nicht zur Schule gehen.“

Verhinderte Abschiebungen
Abschiebung eines chinesischen Dissidenten verhindert

Aus Nordrhein-Westfalen werden auch chinesische Dissident:innen abgeschoben, wenn nicht Menschenrechtsverteiger:innen und Anwält:innen beherzt interveniert hätten. Wochenlang saß Liu Bing im Sommer 2021 in der Abschiebungshaft Büren, bis seine Freilassung erreicht werden konnte. Dabei war der junge Mann seit vielen Jahren in China zivilgesellschaftlich aktiv. Er nahm zudem außerdem noch 2019 an Gedenkaktivitäten zum Tian’anmen-Massaker teil, wie die Safeguard Defenders in mehreren Berichten dokumentierten, in China ist dies ein No-Go. Nach einer Abschiebung aus Deutschland hätten ihm Folter und Misshandlung gedroht.


Drohende Abschiebungen

Drohende Familientrennung in Köln: Stadt sperrt jesidische Irakerin in Abschiebungshaft ein

Der Kölner Flüchtlingsrat e.V. hat die drohende Abschiebung einer jesidischen Irakerin öffentlich gemacht. In der Nacht zum 11. Januar 2021 wollten die Behörden eine Frau zur Abschiebung nach Rumänien abholen. Dabei lebt ihr britischer Ehemann mit Aufenthaltsrecht in Köln. Sie lebten bereits über mehrere Monate dort zusammen. Doch die Stadt Köln und das BAMF wollten die Abschiebung in das Ersteinreiseland Rumänien dennoch mit aller Macht durchsetzen. Weil sich die Frau mit passivem Widerstand wehrte, wurde die Abschiebung schließlich abgebrochen, doch die Stadt Köln beantragte sofort Abschiebungshaft und seither ist die Frau im Abschiebungsgefängnis Ingelheim inhaftiert.

Der Abschiebungsversuch zeigt auf, zu welchen Zwangsmaßnahmen die Ausländerbehörden bereit sind, um die längst überkommende Dublin-III-Verordnung durchzusetzen. Der Frau wurde unter Fixierung des Kopfes ein PCR-Test zwangsweise abgenommen. Schließlich wurde sie unter Zwangsmaßnahmen angezogen. Der Ehemann war zuvor in Handschellen in einen anderen Raum gebracht worden. Der Lokalzeit aus Köln des WDR hat er seine Geschichte erzählt. Auch der Kölner Stadt-Anzeiger berichtete.

Kreis Siegen-Wittgenstein: Drohende Abschiebung trotz Ausbildungsplatz in der Pflege; Gründung des Bündnisses „Recht zu bleiben“

Pflegeausbildung oder Abschiebung in den Militärdienst? So sehen die Alternativen von Elvin Muradi aus, der mit seiner Frau und drei Kindern seit mehreren Jahren in Aue-Wingeshausen im Kreis Siegen-Wittgenstein lebt. Aber der Weg in die Pflegeausbildung wird versperrt, es fehlt die Arbeitserlaubnis. Die Behörden verlangen von ihm die Vorlage eines Reisepasses, den bekommt er aber erst, wenn er den Wehrdienst ableistet, was er auf keinen Fall möchte. Denn im Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan starben allein im Herbst 2020 über 6.500 Menschen. Wie Elvin Muradi geht es vielen Menschen in Nordrhein-Westfalen.
Auch weiteren Familie im Kreis Siegen-Wittgenstein droht die Abschiebung. Dort hat sich nun aufgrund der rigorosen Abschiebungspraxis des Kreises ein Bündnis gebildet, das Bündnis „Recht zu bleiben“. Am 24. Januar 2022 zogen über 100 Menschen vor das Kreishaus in Siegen. Das Bündnis hat auch eine Petition gestartet und setzt sich darin für ein Bleiberecht für mehrere Familien ein. Außerdem fordert das Bündnis den Umbau des Ausländerbehörde des Kreises Siegen-Wittgenstein zu einer echten Willkommensbehörde.

Vernetzung

Vernetzung pakistanischer Geflüchteter

Jeden Monat wird sehr robust und mit viel Gewalt nach Pakistan abgeschoben, viele Bundesländer beteiligen sich daran. Am 12. Januar 2022 startete zuletzt ein Sammelcharter in Frankfurt am Main. Über 40 Menschen wurden abgeschoben. Auch Nordrhein-Westfalen schob an diesem Tag ab. Einen Bericht gibt es hier zu lesen. Er enthält auch eine Zusammenfassung einer Aktivistin über die Ausmaße der letzten Sammelabschiebung.

Die pakistanische Community vernetzt sich in einer selbstorganisierten facebook-Gruppe, die mehrsprachig Infos teilt und schon über 800 Menschen miteinander vernetzt:
Pakistani refugee news in germany

Materialien

Handreichung „ Abschiebungen aus der Flüchtlingsunterkunft“
Der Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt e.V. hat die Handreichung Abschiebungen aus der Flüchtlingsunterkunft – Rechtlicher Rahmen für die Soziale Arbeit in Sachsen-Anhalt“ herausgegeben. Aus der Rundmail der Herausgeber:innen geht hervor, worum es inhaltlich geht:

(…)„Bei Abschiebungen aus Gemeinschaftsunterkünften stellt sich für Sozialarbeiter*innen und Unterstützer*innen vor Ort die Frage, wie sie sich verhalten soll(t)en. Dabei geht es meist um die zentrale Frage, ob und inwieweit ihrerseits Mitwirkungsverpflichtungen bei behördlichen Abschiebungsmaßnahmen bestehen und wann eine Kooperation abgelehnt werden kann oder sogar muss.

Wir wollen mit dieser Handreichung über die Rechtslage informieren, Grenzen und Spielräume aufzeigen sowie Orientierung und Hilfestellung bieten. Dies betrifft z. B. Fragen wie: Muss die Polizei in die Unterkunft gelassen werden? Ist man als Mitarbeiter*in verpflichtet, auf Nachfragen Personen zu identifizieren? Muss man das Zimmer von Bewohner*innen aufschließen?“(…)

Autorin der Handreichung ist Marei Pelzer von Hochschule Fulda. Sie erörtert die Rechts- und Weisungslage in Sachsen-Anhalt, in weiten Teilen sind die Ausführungen aber auch auf die Situation in anderen Bundesländern anwendbar, so der Hinweis der Herausgeber:innen. Die Handreichung kann auch in gedruckter Form beim Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt e.V. bestellt werden.

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