News #1 zu Abschiebungen und zur Abschiebungspraxis in Nordrhein-Westfalen

Wir stellen euch in Zukunft in unregelmäßigen Abständen einen Newsletter mit Beiträgen, Presseberichten, Materialien, Projekten/Terminen (Nordrhein-Westfalen und Umgebung) rund um das Thema Abschiebungen und Abschiebungspraxis in Nordrhein-Westfalen zur Verfügung.
(Wir bitten euch, uns zu informieren über relevante Inhalte, die wir mit aufnehmen könnten.)

Beiträge
Projektstart „Abschiebungsreporting NRW“

Mitte August 2021 startete in Nordrhein-Westfalen das Projekt „Abschiebungsreporting NRW“. Es will inhumane Aspekte der Abschiebungspraxis an Einzelfällen öffentlich machen, parteiisch in
ausführlichen Berichten über die Abschiebungspraxis informieren und besondere Härten bei Abschiebungen in den Blick nehmen. Dazu sollen die bestehenden Abschiebungspraktiken in NRW zukünftig näher dokumentiert werden, auch anhand exemplarischer Einzelfälle. Daneben werden in losen Abständen allgemeine News zu Abschiebungen und zur Abschiebungspraxis in Nordrhein-Westfalen veröffentlicht. Eine Website ist noch im Aufbau, bei Twitter (@abschiebung_nrw) gibt es schon regelmäßig viele Infos zu Abschiebungen.
Projektinformation und Angebot zur Zusammenarbeit

Gelsenkirchen: Abschiebung schwer behinderter Rom:nja nach über 20 Jahren in den Kosovo
Mitte Oktober 2021 konnte die erste Recherche des neuen Projekts veröffentlicht werden. Vor zwei Wochen berichtete der WDR in der Lokalzeit Ruhr und wir konnten im Studiogesprä ch diese unsägliche Abschiebung kommentieren.
Die Stadt Gelsenkirchen hatte im August 2021, also innerhalb der Sommerferien, eine 20-jährige geistig behinderte Gelsenkirchener Romni mit ihren schwer kranken Eltern in den Kosovo abgeschoben, nach über 20 Jahren in Deutschland. Dabei hatte die in Gelsenkirchen geborene junge
Frau sechs Wochen vorher ihren Förderschulabschluss erreicht und sollte bald in eine Werkstatt für Menschen mit Beeinträchtigungen aufgenommen werden. Eine klare Missachtung des Bleiberechts nach § 25a AufenthG durch die Stadt Gelsenkirchen! Auch der Vater ist als gehörloser und psychisch erkrankter Mensch besonders vulnerabel, die Mutter ebenfalls erkrankt. Beide kamen 1999 nach NRW. Doch die Stadt hielt es nicht einmal für angemessen oder erforderlich, die Familie auf die mögliche Anrufung der Härtefallkommission hinzuweisen. Gemeinsam mit dem Roma Center e.V. und dem Bundes Roma Verband e.V. fordern wir die Rückholung der drei Personen nach Gelsenkirchen. Unserer Forderung hat sich auch die Diakonie Rheinland Westfalen Lippe angeschlossen. Mehrere Ausschüsse des Stadtrates der Stadt Gelsenkirchen haben sich mit der Abschiebung befasst. Allen Akteur:innen in Stadtverwaltung und -politik sei der umfassende Bericht der Unabhängigen Kommission Antiziganismus empfohlen, der Bund, Länder und Kommunen auffordert, die Praxis der Abschiebungen von Rom:nja umgehend zu beenden.
Neben dem WDR berichteten die WAZ, Ruhr24.de, der epd und MiGAZIN.

Weitere Abschiebungen aus NRW oder über NRW-Flughäfen
Abschiebung nach Bangladesch
Die Oberbergische Volkszeitung berichtet über die Abschiebung einer kleinen Familie aus Nordrhein-Westfalen nach Bangladesch. Der achtjährige Shayon wurde mit seiner 21-jährigen Stiefmutter und
dem zweijährigen Bruder nachts aus Nümbrecht im Oberbergischen Kreis abgeschoben. Der Vater blieb dabei zurück und die Familie wurde getrennt. In Bangladesch selbst leben bereits über 900.000 geflüchtete Rohingya, oft unter elenden Bedingungen. Die Fußmallmannschaft von Shayon und seine Betreuer:innen sind geschockt. Der Verein hat ein Spendenkonto eingerichtet. Es gab Mahnwachen und weitere öffentliche Protestaktionen, auch der Mitschüler:innen des Drittklässlers. Eine Anwältin überprüft die Abschiebung.

Familientrennung bei Abschiebung über NRW-Flughafen nach Armenien
Am 17. September 2021 wurde eine Familie aus Baden-Württemberg bei einer Abschiebung über den Flughafen Köln-Bonn voneinander getrennt, wie der Schwarzwälder Bote berichtet. Naira K. schoben die Behörden mit zwei Töchtern nach Armenien ab. Ihr Ehemann war nicht zu Hause und blieb in Deutschland. Die Abschiebung erfolgte, obwohl für Naira K. ein Ausbildungsvertrag zum 01. September 2021 vorlag, als Restaurantfachkraft, einem Mangelberuf. Ausbildungsbetrieb und Freund:innen sind empört und haben sich in einem Offenen Brief an die baden-württembergische Landesregierung gewendet. Auch eine Spendenaktion wurde gestartet.

Abschiebung einer schwer erkrankten Frau aus Niedersachsen über Düsseldorf in die Russische Föderation in letzter Minute gerichtlich gestoppt
Ende September 2021 stoppte das Verwaltungsgericht Braunschweig (Beschluss v. 28. September 2021, 4 B 301/21) in quasi letzter Minute die Abschiebung einer schwer erkrankten Frau über den Flughafen Düsseldorf in die Russische Föderation, wie der Flüchtlingsrat Niedersachsen in mehreren Stellungnahmen berichtet. Die Frau lebte bereits seit 20 Jahren in Deutschland. Sie war für einige Tage in der JVA Hannover-Langenhagen in Abschiebungshaft genommen worden. Dort hatte der JVA-eigene
medizinische Dienst dann eine Reiseunfähigkeit festgestellt. Doch die beteiligten Behörden, der Landkreis Peine und das niedersächsische Innenministerium, beharrten auf der Durchsetzung der Abschiebung. Die Ausländerbehörde war dabei der Ansicht, dass das Attest der Anstaltsärztin nicht den Vorgaben des § 60a Abs. 2 c,d AufenthG genüge. Das Verwaltungsgericht Braunschweig stellt dagegen fest, dass die „Zusammenschau der Atteste des ärztlichen Dienstes die Reiseunfä higkeit“ belege. Zudem war die Frau so schwer erkrankt, dass eine Anschlussbehandlung hätte zwingend sicher gestellt werden müssen, wozu die Ausländerbehörde aber keinerlei Angaben gemacht habe. Die
vorgesehene ärztliche Begleitung des Fluges reiche allein nicht aus.

Landespolitik
Weiteres Abschiebungsgefängnis in Düsseldorf in Planung
Wie aus Medienberichten bekannt wurde, plant die Landesregierung die Einrichtung eines weiteren Abschiebungshaftgefängnisses in Düsseldorf. Ziel ist es dabei, die Zuführung zu Sammelabschiebungen, die sehr regelmäßig vom Flughafen Düsseldorf starten, zu vereinfachen. Die
bisher einzige Abschiebungshafteinrichtung des Landes Nordrhein-Westfalen in Büren ist der Landesregierung offenbar nicht mehr genug. Dabei ist die Statistik des führenden Abschiebungshaft-Anwaltes und Menschenrechtspreisträgers Peter Fahlbusch, der bundesweit in rund 20 Jahren ca. 2.200 Abschiebungshaft-Mandate geführt hat, mehr als eindeutig und der Landesregierung dringend als Lektüre zu empfehlen. Die Hälfte der Mandant:innen saß jedenfalls teilweise zu Unrecht in Haft.
Zehntausende rechtswidrige Hafttage kamen bereits zusammen. Widerstand gegen die Einrichtung eines neuen Gefängnisses in Düsseldorf und scharfe Kritik kommen vom Verein Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V. und dem Düsseldorfer Flüchtlingsrat. Auf Antrag der Fraktion Die Linke im Stadtrat debattierte der Stadtrat der Stadt Düsseldorf jüngst die Pläne, die Stadtverwaltung verweigerte jedoch laut Bericht der Neuen Ruhr Zeitung faktisch jegliche Auskunft. Düsseldorf selbst bekennt sich als Sicherer Hafen für Geflüchtete. Ein neues Abschiebungshaftgefängnis in der Landeshauptstadt würde dieses Bekenntnis deutlich in Frage stellen.

Materialien
Einblicke in die Abgründe der Haftpraxis im Abschiebungsgefängnis Büren
Lina Droste und Sebastian Nitschke legen mit ihrem 2021 erschienenen Band „Die Würde des Menschen ist abschiebbar. Einblicke in Geschichte, Bedingungen und Realitäten deutscher Abschiebehaft“ einen umfassenden Einblick in die Abgründe der Abschiebungshaftpraxis vor. „Im Rahmen des politischen Aktivismus der Autor*innen gegen die Abschiebegefängnisse in Darmstadt und Büren entstanden Texte zu Haftbedingungen, Gerichtsakten, Isolationshaft und Gespräche mit Inhaftierten über ihre Ausschlusserfahrungen in Deutschland und ihren Herkunftsländern.“ Der Band ist bei edition assemblage oder über den Verein Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V. bestellbar.

Studie „Abschiebung trotz Krankheit“
Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat im Mai 2021 die Studie „Abschiebung trotz Krankheit. Perspektiven aus der Praxis und menschenrechtliche Verpflichtungen“ veröffentlicht. Die Studie
untersucht ein Praxisfeld, das seit 2015 deutlichen gesetzlichen Verschärfungen im Aufenthaltsrecht unterworfen war. Die Studie will „einerseits den grund- und menschenrechtlichen Rahmen für die
Abschiebung kranker Menschen abstecken. Sie möchte andererseits verdeutlichen, welche Schutzlücken in der Praxis – also beim Nachweis und der Prüfung von Abschiebungshindernissen, aber auch bei der Vorbereitung und Durchführung von Abschiebungen – drohen, denen sich der Gesetzgeber annehmen sollte.“ Das Thema ist aktuell auch Gegenstand der Koalitionsgespräche auf Bundesebene.

Rechtsprechung
Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung gilt auch bei Abschiebungen
Das Verwaltungsgericht Berlin hat in einem Urteil aus Oktober 2021 (VG Berlin 10 K 383.19) eine Selbstverständlichkeit festgehalten: Das grundgesetzlich verbriefte Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung gilt auch bei Abschiebungen. Geklagt hatte ein 22-jähriger Guineer, der 2019 auf Basis der Dublin-III-Verordnung nach Italien abgeschoben werden sollte. Die Polizeibeamt:innen drangen an jenem Tag mit Gewalt in sein Mehrbettzimmer in einer Berliner Flüchtlingsunterkunft ein, allerdings
ohne Vorlage eines richterlichen Durchsuchungsbeschlusses. Das Gericht folgt mit seinem Urteil auch jüngerer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Hamburg.
Bericht der taz vom 12. Oktober 2021.

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