Nächtliche Abschiebung aus dem Kreis Kleve nach Ägypten

Handschellen, verbale Gewalt, Eindringen in Wohnung ohne Durchsuchungsbeschluss: Nächtliche Abschiebung aus dem Kreis Kleve nach Ägypten. 26-jähriger Mann hatte Studium aufgrund schwerer Erkrankung unterbrochen

Was in einer Nacht im Oktober 2021 in Kleve passiert, ist für den 26-jährigen Herrn F.* traumatisierend und verstörend. Um 2 Uhr nachts dringen Beamt:innen in die Wohnung des psychisch erkrankten Mannes ein, um ihn nach Ägypten abzuschieben. Er – aus einer Militärdiktatur stammend – wird mit Handschellen festgenommen, das erste Mal in seinem Leben. Die Beamt:innen schreien Herrn F. an und beschimpfen ihn. Er bekommt kaum Zeit zum Packen, obwohl dem Kreis Kleve die psychische Erkrankung des Mannes bekannt ist.

Er wird in einen Polizei-Van gesetzt und erst dort später gefragt, ob er etwas mitnehmen wolle. Daraufhin weist er – unter Schock stehend – auf seine Hündin hin. Doch die Beamt:innen ignorieren den Hinweis. Sie weisen an, die Hündin an ein Tierheim zu übergeben. Herr F. darf sich auch nicht von seinem Tier, zu dem er eine sehr enge Bindung hat, verabschieden.

Das Handy wird abgenommen, seine Rechtsanwältin nicht über die Festnahme informiert. In der Nacht darf er selbst es einmal versuchen, die Anwältin zu erreichen, was nicht gelingt. Erst Stunden später – um 9 Uhr am Flughafen – wird ihm erlaubt, erneut seine Rechtsanwältin zu kontaktieren. Er erreicht sie nicht. Als die Anwältin ihn 20 min später zurückruft, ist das Handy bereits abgeschaltet. Die Anwältin wird erst Tage später über die erfolgte Abschiebung informiert, sodass rechtzeitige Rechtsschutzmittel nicht mehr geprüft werden können.

Rechtswidrigkeit der Abschiebung aufgrund fehlenden Durchsuchungsbeschlusses

Die Beamt:innen des Kreises Kleve legen in der Nacht keinen Durchsuchungsbeschluss für das Eindringen in die Wohnung von Herrn F. vor. Sie haben auch gar keinen dabei. Dabei ist der private Wohnraum grundrechtlich streng geschützt. Der Kreis Kleve scheint offenbar generell kein Interesse daran zu haben, sich für den Zutritt zu Wohnungen bei Abschiebungen vorab verfassungsrechtlichzwingend erforderliche Durchsuchungsbeschlüsse vom Gericht zu besorgen. Dies zeigt ein Schreibendes Kreises Kleve wenige Tage nach der Abschiebung, gerichtet an die Rechtsanwältin.

Darin heißt es: „(…) Auf die Einholung eines Durchsuchungsbeschlusses konnte verzichtet werden, da Ihr Mandant meinen Außendienstmitarbeitern freiwillig Zugang zu seiner Wohnung verschafft hat.(…)“. Eine solche Formulierung macht aber schon denklogisch keinen Sinn, konnten die Mitarbeitenden des Kreises Kleve doch vor Beginn der Abschiebungsmaßnahme gar nicht wissen, wie sich Herr F. verhalten wird.

Außerdem widerspricht Herr F. der Schilderung der Beamt:innen deutlich. Da seine Hündin extrem ängstlich ist, lässt er generell keine fremden Personen in seine Wohnung. In der Nacht der Abschiebung hat er dies ebenfalls nicht getan. Der fehlende Durchsuchungsbeschluss führt zur Rechtswidrigkeit der gesamten Maßnahme.

Missachtung der Bleiberechtsmöglichkeiten nach unterbrochenem Studium

Die gewaltvolle Abschiebung wirft auch deswegen Fragen auf, weil der Kreis Kleve die bleiberechtlichen Möglichkeiten nicht ausgeschöpft hat. Sie kam für Herrn F. völlig überraschend und unvermittelt.

Rückblick: Voller Hoffnung kommt der 21-jährige Herr F. 2016 zum Studium nach Deutschland. Er reist mit einem Studentenvisum ein. Im darauf folgenden Jahr nimmt er ein Ingenieursstudium in englischer Sprache in Kleve auf und erhält die dafür erforderliche Aufenthaltserlaubnis. Nach persönlichen Schicksalsschlägen erkrankt Herr F. an einer schweren Depression. Aufgrund der Erkrankung kann er sich selbst um einfache Dinge des Alltags nicht mehr kümmern. Er schafft es nicht mehr zu studieren und lebt über längere Zeit völlig zurückgezogen.

Auch die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis gerät aus seinem Blick. Nach längerer Zeit der Stabilisierung beschließt Herr F. 2021 jedoch einen Neustart, obwohl er gesundheitlich noch nicht genesen ist und auf einen Therapieplatz wartet. Freund:innen helfen ihm in dieser Zeit. Er möchte das Studium wieder aufnehmen und sucht sich eine Anwältin zur Unterstützung seiner aufenthaltsrechtlichen Situation.

Doch der Kreis Kleve möchte das Gegenteil. Er droht Herrn F. im Mai 2021 in einem Bescheid die Abschiebung an. Seine Anwältin erhebt Klage und Eilantrag und beantragt zudem die Erteilung einer neuen Aufenthaltserlaubnis zur Wiederaufnahme des Studiums.

Widersprüchliches Handeln der Kreisverwaltung Kleve wiegt Herrn F. in falscher Sicherheit

Dann beginnt das widersprüchliche Verwaltungshandeln des Kreises Kleve. Noch im Juli 2021 schreibt der Kreis die Anwältin an und fordert die üblichen Unterlagen zur Prüfung einer Aufenthaltserlaubnis für ein Studium an, scheint also nun in keiner Weise abgeneigt zu sein, eine sinnvolle Lösung für Herrn F. zu finden. Dieser bemüht sich um die Vorlage der Unterlagen und reicht einige davon bereits ein.

Doch die Pandemie und die Semesterferien an der Hochschule führen dazu, dass sich dies verzögert. Auch seine psychische Erkrankung schränkt Herrn F. weiterhin ein. Der Kreis Kleve will aber nicht weiter warten und lehnt Mitte August 2021 den Antrag auf Aufenthaltserlaubnis ab.

Sechs Wochen später kommen dann nachts die Abschiebungsbeamt:innen. Mitnehmen kann Herr F. praktisch nichts. Nur Freund:innen ist es zu verdanken, dass persönliche Gegenstände, wie etwa das Notebook, nicht verloren gehen. Sie kümmern sich auch darum, die persönlichen Sachen nachzuschicken. Auch sprechen sie mit dem Vermieter, weil das Mietverhältnis durch die Abschiebung abrupt abgebrochen worden ist.

Die nächtliche Abschiebung des 26-jährigen Herrn F. aus dem Kreis Kleve wirft erneut ein Licht auf die rigorose Abschiebungspraxis in Nordrhein-Westfalen, die jede:n treffen kann. Sie macht auch vor Studierenden nicht halt, die aufgrund einer Erkrankung eine Unterbrechung des Studiums benötigen.

*Name zum Schutz der Person anonymisiert

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Presseberichte

Grüne kritisieren „menschenunwürdige Methoden“ bei Abschiebung, in: Rheinische Post vom 17. März 2022