Willich im Kreis Viersen, im Juni 2022: Die Abschiebebehörden dringen morgens um 6 Uhr in das Schlafzimmer eines 57-jährigen Iraners ein und nehmen ihn im Beisein von Ehefrau und 13-jährigem Stiefsohn fest.
Der Mann landet in Abschiebehaft. Der konvertierte Christ, der seit 2015 in Deutschland lebt, hier geheiratet hat und einer Arbeit nachgeht, soll in den Iran abgeschoben werden.* Dabei kann die Abkehr vom islamischen Glauben dort mit dem Tod bestraft werden.
Warum trotzdem die Abschiebung? Der Asylantrag des Mannes war abgelehnt worden. Die Viersener Behörde will den Mann zwingen, im Iran ein Visumverfahren nachzuholen, um dann im Rahmen der Familienzusammenführung wieder zu Ehefrau und Stiefsohn nach Deutschland zu reisen.
Absurd und zynisch? Ja, aber auch gängige Praxis eines Aufenthaltsrechts, das den Geist von Misstrauen und Abschreckung atmet – vom angekündigten Paradigmenwechsel der Bundesregierung keine Spur. Warum lässt sich diese Visumsfrage „im 21. Jahrhundert nicht schlicht per E-Mail lösen?“, fragt zurecht ein Reporter der Westdeutschen Zeitung.
Die Familie hatte sich zuvor in großer Sorge an die Öffentlichkeit gewandt. Auch das Abschiebungsreporting NRW hat öffentlich auf die drohende Familientrennung aufmerksam gemacht. Daraufhin schalteten sich weitere Organisationen ein, Anträge wurden gestellt, beim Kreis Viersen gingen Protestnoten ein.
Doch erst fünf Tage später, auf dem Weg zum Flughafen, kommt die Nachricht: die Abschiebung wird vorläufig ausgesetzt, die Familie kann erst einmal durchatmen. Der Protest hat gewirkt. Nächtliche Festnahmen sind gängige Praxis der rigiden deutschen Abschiebungspolitik und keine Ausnahme. Auch Berichte über Familientrennungen erhalten wir regelmäßig. Besonders fatal: die Gerichte bestätigen diese Praxis vielfach.
Seit September 2022 ist die Projekt-Website www.abschiebungsreporting.de mit allen Texten und Newslettern online. Auch haben wir seit kurzem personelle Verstärkung erhalten: Bo Wehrheim unterstützt das Projekt, vor allem in den Bereichen Recherche und Öffentlichkeitsarbeit.
* Seit 8. Oktober 2022 sind Abschiebungen aus Nordrhein-Westfalen in den Iran bis auf Weiteres ausgesetzt, wie die Flucht-Ministerin Josefine Paul verkündet hat. Rund 2.900 Iraner*innen, die bisher nur im Status der Duldung in NRW leben, sind nun vorläufig vor Abschiebung geschützt.
Autor*in: Sebastian Rose
Der Text ist erschienen in den INFORMATIONEN des Komitees für Grundrechte und Demokratie e.V., Ausgabe 4/ 2022, Seite 4. Die INFORMATIONEN können hier abonniert werden.