Zwei Jahre Abschiebungsreporting NRW: Wir machen weiter!

März 2023: Das Verwaltungsgericht Minden stoppt die Abschiebung eines Kurden in die Türkei vorläufig, bis über den gestellten Asylfolgeantrag des Mannes entschieden wird. Trotzdem lässt der Kreis Gütersloh den Mann am folgenden Tag aus dem Abschiebegefängnis Büren abholen, wo er bereits seit einigen Tagen in Abschiebehaft festgehalten wird. Nur durch Interventionen des Anwaltes und mehrerer Menschenrechtsorganisationen wird die Abschiebung noch gestoppt, auf dem Weg zum Flughafen.

Das Abschiebungsreporting NRW macht den Fall öffentlich. Danach schieben sich die beteiligten Stellen, der Kreis Gütersloh und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, die Verantwortung laut Presseberichten gegenseitig zu. Die Landesregierung NRW liefert auf Anfragen im Landtag nur wenige Informationen. Schließlich wird der rechtswidrige Abschiebeversuch im Integrationsausschuss des Landtages diskutiert. Doch auch dort verwendet das Ministerium für Flucht und Integration mehr juristische Ausreden als Klartext.

Das Beispiel macht deutlich: die Rechtsstaatsverstöße und Missstände in der Abschiebepraxis in Nordrhein-Westfalen sind gravierend. Das Abschiebungsreporting NRW schaut genau hin, bringt sie auf den Tisch und bleibt auch über Monate an den Fällen dran. Den Betroffenen wird so Gehör verschafft und sie werden gestärkt.

Und wir machen weiter. Die Finanzierung unserer Arbeit seitens der drei evangelischen Landeskirchen in NRW, der Diakonie Rheinland Westfalen Lippe, der Evangelischen Kirche in Deutschland und des Fördervereines PRO ASYL e.V. soll zunächst bis Ende 2024 fortgesetzt werden.

Wie dringlich das Projekt weiterhin ist, macht neben dem Blick in die Praxis auch der Blick auf die politischen Vorhaben von Bund und Ländern deutlich. Trotz aller schon bestehenden Härten und Menschenrechtsverletzungen bei Abschiebungen soll die Rechtslage noch verschärft werden.

Drei Seiten widmeten Bundeskanzler Olaf Scholz und die Ministerpräsident*innen der Bundesländer dem Thema Abschiebungen und Abschiebehaft in ihrem Beschlusspapier vom 10. Mai 2023 zum Abschluss des Bund-Länder-Gipfels. „Der Bundeskanzler und die Regierungschef*innen der Länder stimmen darin überein, dass gesetzliche Regelungen, die Abschiebungsmaßnahmen verhindern oder zumindest erschweren, anzupassen“ seien, heißt es darin.

Weitere Haftgründe im Abschiebehaftrecht sollen etabliert werden. Daneben soll das sogenannte „Ausreisegewahrsam“, eine besonders leicht zu verhängende Form der Abschiebehaft, von bisher 10 auf maximal 28 Tage verlängert werden. Den Behörden soll es zudem erleichtert werden, bei Abschiebungen auch andere Räumlichkeiten als das Zimmer der betroffenen Personen in Lagern für Geflüchtete zu betreten. Damit wird der Grundrechtsschutz für die betroffenen Menschen immer weiter gekappt.

Die Abschiebung „erheblich straffälliger Ausländer in ihre Herkunftsländer mit Abschiebestopp“ soll „nicht per se ausgeschlossen werden“, heißt es weiter in dem Beschlusspapier. Damit stellen Bund und Länder in den Raum, dass sie zukünftig auch wieder nach Afghanistan und Syrien abschieben könnten.

Was konkret von diesen Vorhaben gesetzlich verankert wird, werden die nächsten Monate zeigen. Die öffentliche politische Rhetorik zeigt jedenfalls: der Druck auf Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus ist enorm.

Autor*in: Sebastian Rose

Dieser Text ist erschienen in den INFORMATIONEN #2 des Komitees für Grundrechte und Demokratie e.V. Das Heft kann beim Komitee bestellt oder als pdf abgerufen werden.