Köln: Abschiebung einer alleinerziehenden, gewaltbetroffenen Mutter mit vier Kindern nach Albanien – Verletzung der Istanbul-Konvention und Gefährdung des Kindeswohls

Gemeinsame Presseinformation von agisra e.V. und Abschiebungsreporting NRW

agisra e.V. und das Abschiebungsreporting NRW kritisieren die Abschiebung einer alleinerziehenden, gewaltbetroffenen Mutter mit ihren vier minderjährigen Kindern nach Albanien scharf und fordern deren sofortige Rückholung. In Albanien sind die Frau und ihre Kinder der Gewalt ihres Ex-Mannes und Vaters ausgesetzt. Die Abschiebung aus Köln, die am 7. Mai 2025 mit einem Sammelcharter vom Flughafen Düsseldorf erfolgte, stellt einen Verstoß gegen die rechtlichen Garantien aus dem Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, bekannt als Istanbul-Konvention, dar. Aus diesem Anlass haben sich die beiden Organisationen heute in einem Offenen Brief an die Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen Josefine Paul, an Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker sowie an drei Ausschussvorsitzende im nordrhein-westfälischen Landtag gewandt. Die Familie war in den letzten Monaten an die Beratungsstelle agisra e.V. angebunden.

Die Frau war der schweren häuslichen Gewalt ihres Ex-Mannes über 13 Jahre hinweg ausgesetzt, die vier Kinder, die zum Zeitpunkt der Abschiebung im Alter von 12, 10 und 5 Jahren sowie 10 Monaten waren, seit ihrer Geburt ebenfalls. In Köln hatte das Amtsgericht den Mann im Januar 2025 zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Zuvor hatte das Amtsgericht Ende Oktober 2024 dem Ex-Mann für zunächst sechs Monate auf Basis des Gewaltschutzgesetzes jeglichen Kontakt oder Annäherung zu der Frau verboten. Bereits seit Ende Oktober saß er in Untersuchungshaft. Im Februar 2025 wurde er schließlich alleine durch die Stadt Köln nach Albanien abgeschoben. Anschließend war die lang andauernde Gewaltspirale bei der Familie erstmals unterbrochen worden. Die Kinder besuchten in Köln Schule und Kita, Sport- und Kunstvereine und begannen sich sozial und emotional zu stabilisieren. Das älteste Kind befand sich seit Februar 2025 in kinder- und jugendpsychotherapeutischer Behandlung, auch mit den beiden nächstälteren Geschwistern fanden bereits Aufnahmegespräche statt. Die akute Belastungsreaktion und die attestierte Reiseunfähigkeit des ältesten Kindes waren der Ausländerbehörde der Stadt Köln bekannt. Die Mutter lernte, sich als Alleinerziehende ein eigenständiges Leben aufzubauen. Durch die Abschiebung gerieten Frau und Kinder praktisch erneut direkt in die Hände des Täters. Der Ex-Mann machte sie unmittelbar nach ihrer Ankunft bereits ausfindig und wurde erneut gewalttätig. Die von den Beamt:innen, die die Abschiebung durchführten, zugesagte Übergabe an eine Schutzorganisation oder einen Schutzort in Albanien erfolgte mangels Verfügbarkeit und fehlender Bemühungen der beteiligten deutschen und albanischen Behörden nicht.

Sophia Çora, agisra e.V.:

Aufgrund der mangelnden Gewaltschutzstrukturen im vermeintlich „sicheren Herkunftsland“ Albanien sind die Frau und ihre Kinder der Gewalt nun schutzlos ausgeliefert. Die Bedrohung durch Feminizid* und Kindsmord ist ihre brutale Realität. Die Stadt Köln hat damit gegen die Istanbul-Konvention verstoßen. Danach ist eine Abschiebung in einen Staat, in dem Gewalt droht, ausdrücklich untersagt. Diese Bestimmungen sind seit 2018 rechtsverbindlich in Deutschland und keine politische Ermessensfrage. Mit unserem Offenen Brief wollen wir bewirken, dass diese verbrieften Rechte in Nordrhein-Westfalen endlich umgesetzt werden.“

Sebastian Rose, Abschiebungsreporting NRW:

„Wir wissen aus unserer mehrjährigen Dokumentationsarbeit zu Abschiebungen in ganz Nordrhein-Westfalen, dass solche Abschiebungen wie jüngst in Köln leider kein Einzelfall sind, weil die Rechtsgarantien aus der Istanbul-Konvention in der Praxis nicht umgesetzt und Bleiberechte verweigert werden. Es darf nicht sein, dass gewaltbetroffene Frauen und Kinder durch eine Abschiebung in die Gefahr der gleichen Gewaltausübung, die sie zuvor erfahren haben, geraten. Während die Landesregierung seit August 2024 allein zehn abschiebeorientierte neue Erlasse für die Ausländerbehörden zur Steigerung der Abschiebungszahlen herausgegeben hat, bestehen in NRW beim Schutz von Frauen und Kindern weiterhin eklatante Lücken.“

Die Landesregierung erarbeitet zurzeit unter Einbindung von zivilgesellschaftlichen Akteur:innen und Wissenschaftler:innen einen Landesaktionsplan zur Umsetzung der Istanbul-Konvention. Damit sollen nach Angaben des Landesregierung Schutzlücken identifiziert und notwendige Maßnahmen zur Umsetzung der Konvention in Nordrhein-Westfalen benannt werden. agisra e.V. und das Abschiebungsreporting NRW fordern in ihrem Offenen Brief unter anderem die Einrichtung eines landesweiten Schutzmechanismus, der sicherstellt, dass Entscheidungen der Ausländerbehörden in Nordrhein-Westfalen systematisch auf ihren Einklang mit der Istanbul-Konvention geprüft werden.

In Köln stellt sich zudem die Frage, welchen Wert die Leitlinie Kindeswohlaspekte überhaupt hat. Mit dieser Leitlinie verpflichtet sich die Stadt Köln selbst, Kindeswohlaspekte bei der Prüfung von Bleibeperspektiven und insbesondere im Rahmen aufenthaltsbeendender Maßnahmen zu berücksichtigen. Obwohl das Jugendamt in der Unterstützung der Familie aufgrund der gravierenden Gewalt zuvor eingebunden war, hat die Ausländerbehörde bei ihren Planungen die Kolleg:innen des Jugendamtes in keiner Weise konsultiert. Die Leitlinie verpflichtet die Stadt Köln zudem, die kinderrechtliche Situation im Herkunftsland in den Blick zu nehmen. Da, wo dies zielstaatsbezogen die Kompetenzen der Stadt überschreitet, soll das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bei der Bewertung beteiligt werden. Auch dies war vorliegend nicht erfolgt, obwohl nach der vorherigen Abschiebung des Ex-Mannes und Vaters der Kinder nach Albanien dort eine neue Gefährdungslage für Frau und Kinder entstanden war, die überprüft hätte werden müssen. Damit hat die Stadt Köln die verbindlichen Rechte der UN-Kinderrechtskonvention verletzt. Hintergrund der Kölner Leitlinie waren gravierende Abschiebungen von Kindern und Jugendlichen in Köln in den Jahren 2021 und 2022. Auch hat sich die Stadt Köln als Trägerin des Siegels „Kinderfreundliche Kommune“ öffentlich zu kinderfreundlichen Praktiken bekannt hat.


Kontakt

Agisra e.V., Köln
Adrijane Mehmetaj-Bassfeld / Sophia Çora
Telefon +49 221 124 019 oder +49 221 139 0392
E-Mail: info (at) agisra.org

Abschiebungsreporting NRW
Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V., Köln
Sebastian Rose
Telefon 0221 / 972 69 32
Mobil 01575 / 40 35 862
E-Mail: rose (at) abschiebungsreporting.de
www.abschiebungsreporting.de

Anlage
Offener Brief: Abschiebung einer alleinerziehenden, gewaltbetroffenen Mutter mit vier minderjährigen Kindern nach Albanien – Umsetzung der Istanbul-Konvention im Aufenthaltsrecht in Nordrhein-Westfalen endlich gewährleisten

Mehr
*Feminizid: Als Feminizid wird i.d.R. die Tötung von Frauen (aufgrund ihres Geschlechts) bezeichnet. Nach unserer Auffassung umfasst der Begriff jedoch alle Formen geschlechtsspezifischer Tötungen gegen FINTA-Personen (Frauen, inter*, nicht-binäre, trans* und agender Personen). Dabei ist das Geschlecht oder die Geschlechtsidentität der betroffenen Person das entscheidende Motiv. Zu Feminiziden zählen alle Formen geschlechtsspezifischer Tötungen – darunter, Morde aufgrund sexueller Orientierung oder Geschlechtsidentität sowie gezielte Tötungen wie Infantizide (Tötung von Kleinkindern) und Fetizide (Abtreibung von Föten mit weiblichen Geschlechtsmerkmalen). Auch tödliche Verletzungen, etwa infolge weiblicher Genitalverstümmelung, fallen darunter. Der Begriff „Feminizid“ (in Abgrenzung zum Begriff des Femizids) betont dabei die Verantwortung des Staates und die oft vorherrschende Straflosigkeit für patriarchale Gewalt, die bis zum Tod führt.1 Auch wir wollen auf das Versagen des Staates aufmerksam machen und verwenden aus diesem Grund den Feminizid-Begriff.

Informationen zum Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, bekannt als Istanbul-Konvention, finden sich etwa auf der Seite des Deutschen Instituts für Menschenrechte .

Hintergrund
agisra e.V. ist eine autonome, feministische Informations- und Beratungsstelle von und für Migrantinnen und geflüchtete Frauen. agisra
bietet psychosoziale Beratung und Unterstützung für Migrantinnen und geflüchtete Frauen an, die von akuter Gewalt betroffen sind und sich in einer aufenthaltsrechtlich unsicheren Situation befinden. agisra berät unabhängig von sozialer und ethnischer Herkunft, Religion, Alter, sexueller Orientierung, Sprachkenntnissen und Aufenthaltsstatus.

Das Projekt „Abschiebungsreporting NRW“ hat im August 2021 seine Arbeit aufgenommen. Die Dokumentationsstelle macht besonders inhumane Aspekte der Abschiebungspraxis in Nordrhein-Westfalen an Einzelfällen öffentlich und nimmt besondere Härten bei Abschiebungen in den Blick. Die Perspektive der Betroffenen steht dabei im Mittelpunkt. Träger des Projektes ist das Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V. mit Sitz in Köln. Mehr Informationen finden Sie hier.

Ende Mai 2024 hat das Abschiebungsreporting NRW gemeinsam mit dem Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V. ein Buch über Abschiebungen in Nordrhein-Westfalen herausgegeben, das kostenlos als PDF zur Verfügung steht:
Sebastian Rose/Sascha Schießl, Abschiebungen in Nordrhein-Westfalen. Ausgrenzung. Entrechtung. Widerstände, Köln 2024. Herausgegeben von Abschiebungsreporting NRW & Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.

1 Grzyb, M., Naudi, M. & Marcuello-Servós, C. (2022). Femicide definitions. In: The World of Women (TWO) Femicide Definitions.

Politische Aufarbeitung

Abschiebung einer gewaltbetroffenen Mutter mit vier Kindern aus Köln nach Albanien – Missachtung von Menschenrechten, Kinderschutz und der Istanbul-Konvention? Kleine Anfrage im Landtag NRW vom 05. Juni 2025, Drucksache 18/14216