Stadt Solingen schiebt kranke Seniorin kurz vor Beginn ihrer stationären psychiatrischen Behandlung gewaltsam nach Georgien ab

Unsere aktuelle Recherche zeigt, dass nicht einmal psychisch kranke Senior:innen von der rigiden Abschiebungspraxis Nordrhein-Westfalens verschont bleiben.

Am 7. September 2023 wurde eine psychisch kranke Frau von der Ausländerbehörde der Stadt Solingen nach Georgien abgeschoben. Wenige Tage später wäre die 68-Jährige für einige Wochen stationär in einer psychiatrischen Klinik behandelt worden. Das Sozialamt hatte die Behandlung bereits Wochen zuvor bewilligt. Ein Platz in der Klinik war für den 13. September 2023 zugesagt. Doch dann wurde die Seniorin völlig unvorbereitet abgeholt und zum Flughafen Düsseldorf gebracht, von wo sie mit einem Sammelcharter abgeschoben wurde. Die Frau kannte den Abschiebetermin nicht, weil dieser weder ihr noch ihrem Rechtsanwalt mitgeteilt worden war. Sie wurde vollkommen überrascht. Eine solche Praxis, den Abschiebetermin geheim zu halten, ist seit einigen Jahren gesetzlich normiert.

Sebastian Rose vom Abschiebungsreporting NRW, Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.:

In Nordrhein-Westfalen werden auch vulnerable, psychisch kranke Menschen im Rentenalter mit voller Härte abgeschoben. Das Sozialamt bewilligt eine stationäre psychiatrische Behandlung. Die Klinik bereitet einen Platz dafür vor. Es braucht noch ein paar Tage Wartezeit. Doch die Ausländerbehörde setzt wenige Tage vorher die Abschiebung durch. Weiß die eine Hand in Solingens Stadtverwaltung nicht, was die andere macht? Oder ist das eine bewusste Praxis?“

Ein anhängiges Klageverfahren der Frau hatte keine aufschiebende Wirkung. Der Anwalt wollte damit ein Abschiebeverbot für die Frau beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erreichen. Da es sich um ein sogenanntes Wiederaufgreifensverfahren, also ein weiteres Verfahren beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, handelte, war es der Stadt Solingen formal möglich trotz anhängiger Klage die Abschiebung durchzusetzen. Der Anwalt bat die Stadt allerdings zwei Tage vor der Abschiebung, dass bis zum Abschluss des Gerichtsverfahrens von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen abgesehen werde. Andernfalls wollte er Eilrechtsschutz bei Gericht suchen. Doch die Behörde nannte ihm den Abschiebetermin auch dann nicht.

Stadt Solingen kannte den Gesundheitszustand der psychisch kranken Frau
Die Stadt Solingen kannte den Gesundheitszustand der Frau genau. Bereits im Juni 2023 hatte nämlich ein von der Ausländerbehörde beauftragter Gutachter die Reisefähigkeit der psychisch kranken Frau geprüft. Kommunale und zentrale Ausländerbehörden gehen auf diese Weise vor, um sich formal auf dem Papier abzusichern und die Abschiebung selbst von schwer kranken Menschen durchzusetzen. Die Tätigkeit von externen, privaten Gutachter:innen ist jedoch bei Menschenrechtsorganisationen und psychosozialen Fachverbänden sehr umstritten, da sie häufig einseitig im Sinne der beauftragenden Behörden handeln sollen. Außerdem ist ihre Tätigkeit für die Betroffenen oft intransparent. Das von der Stadt Solingen beauftragte Gutachten lag der betroffenen Frau und ihrem Anwalt vor der Abschiebung gar nicht vor. Eine rechtliche Auseinandersetzung damit oder eine gerichtliche Überprüfung des Gutachtens war daher nicht möglich. Außerdem sicherte sich die Stadt Solingen aus ihrer Sicht damit ab, dass die gesamte Abschiebung der Frau ärztlich begleitet worden ist. Auch dies ist ein gängiges Vorgehen der Behörden bei kranken Menschen.

Sebastian Rose vom Abschiebungsreporting NRW, Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.:

„Was ist das für eine intransparente Praxis? Die Stadt Solingen beauftragt einen externen, privaten Gutachter, um die Reisefähigkeit einer kranken Frau zu prüfen. Aber weder sie noch ihr Anwalt erhalten Einblick in das Ergebnis. Wie soll da eine faire Überprüfung erfolgen können? Sehen so die von der Landesregierung im Koalitionsvertrag versprochenen rechtsstaatlichen, fairen und humanitären Verfahren aus?“

Im Koalitionsvertrag haben CDU und Bündnis 90/ Die Grünen 2022 zudem vereinbart, man werde „alles unternehmen, um Abschiebungen aus (…) Krankenhäusern und psychiatrischen Einrichtungen heraus zu vermeiden“ (Koalitionsvertrag NRW 2022, S. 120). Doch das scheint nicht zu gelten, während Betroffene noch wenige Tage auf einen Platz in der Psychiatrie warten, um eine medizinisch indizierte Behandlung zu erhalten.

Besonders bedrückend ist die Abschiebung auch, weil die Frau während ihres mehrjährigen Aufenthalts in Deutschland ihren Ehemann verloren hat, der an einer schweren Erkrankung verstorben ist. Die Tochter der Frau lebt seit vielen Jahren in Süddeutschland, der Enkel ist deutscher Staatsangehöriger. Sie hätten sich gerne weiter um ihre kranke Mutter und Großmutter gekümmert, doch die ist nun in Georgien auf sich allein gestellt.

Die Angehörigen der Frau berichteten dem Abschiebungsreporting NRW zudem von einem massiven Gewalterleben der Frau durch den Abschiebevollzug. Zudem hat sie in Georgien keinen Zugriff mehr auf wichtige Nierenmedikamente, die sie in Deutschland erhalten hat, weil diese in Georgien nicht erhältlich sind.

Kontakt:
Abschiebungsreporting NRW
Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V., Köln
Sebastian Rose
Telefon 0221 / 972 69 32
Mobil 01575 / 40 35 862
E-Mail: rose@abschiebungsreporting.de
www.abschiebungsreporting.de

Hintergrund:
Die Abschiebung nach Georgien erfolgte am 07. September 2023 mit einem Sammelcharter vom Flughafen Düsseldorf. Die stationäre Behandlung in einer örtlichen Klinik im Gebiet Solingen sollte am 13. September 2023 aufgenommen werden.